Es gibt heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Perspektiven zu Ökologie, Natur und auch der drohenden Klimakatastrophe, die sich nicht selten grundlegend widersprechen.
Doch wie können wir all diese wertvollen Ansichten auf die natürliche Welt – formuliert von vielen Wissenschaftlern, Ökologen, Aktivisten und Philosophen – vereinen und zu einer umfassenden Perspektive kommen, um unsere Umweltprobleme effektiv in den Griff zu bekommen und in einem angemessenen Einklang mit unserer natürlichen Umwelt zu leben?
Integrale Ökologie wendet die Integrale Theorie Ken Wilbers auf unsere Umwelt und unser Verständnis der Natur an, und integriert damit all die unterschiedliche Theorien, Ansätze und wertvollen Einsichten in einem umfassenden Modell, welches unmittelbar umgesetzt werden kann.
Einleitung: Wem gehört die Umwelt?
Das „Haupthindernis“, das beseitigt werden muss, um den evolutionären Prozess der [Umwelt-] Ethik ins Fließen zu bringen, ist einfach Folgendes: Verstehen Sie das Nachdenken über angemessene Landnutzung nicht mehr nur als eine ökonomische Frage. Untersuchen Sie jede Frage diesbezüglich nach den Kriterien, ob es sowohl ethisch und ästhetisch richtig als auch ökonomisch nützlich ist. Etwas ist richtig, wenn es dafür sorgt, dass die Integrität, Stabilität und Schönheit der biotischen Gemeinschaft erhalten und gefördert wird. Es ist falsch, wenn es zum Gegenteil führt.
Aldo Leopold
Bist du Umweltschützer oder verdienst du dir dein Geld selbst?
Autoaufkleber, beliebt bei Holzfällern in Oregon, USA
Wem gehört die Umwelt?
Eingegraben mit seinen Vorderfüßen streckt ein Käfer seine Fühler aus, um ein schmackhaftes Stück verfaulenden Holzes zu greifen, ein paar Zentimeter im Innern einer zweihundert Jahre alten Douglasie, die vor Jahren, geschwächt durch ihr Alter, von einem Sturm gefällt wurde. Ein hungriger Specht hüpft auf dem vermodernden Baum herum und sucht nach Insekten und beginnt mit seinem hastigen Picken, das noch ein oder zwei Kilometer entfernt zu hören ist. Ein Bär stellt bei dem hämmernden Klang dieser Baumarbeiten seine Ohren auf, während er zwischen den Zedern und Fichten dahinschlendert. Er ist auf dem Weg zu seinem Lieblingsfluss, der nun voll mit Lachsen ist, die zu ihren Laichgründen schwimmen.
Über dem gleichen tiefen Tal, das vor Tausenden von Jahren von Gletschern geformt wurde, fliegt im Hubschrauber ein Förster aus British Columbia, der Untersuchungen über den Zustand des Nutzholzes an der mittleren und nördlichen Pazifikküste anstellt. Um die Mittagszeit bewegt sich ein Fotograf nahe an einen Grizzly heran, um ein Foto davon zu machen, wie der Bär einhändig einen Lachs fängt, der zur Spitze des Wasserfalls springt.
Derweil benutzt in einem Seitental eine Gruppe von Arbeitern Kettensägen und Planierraupen, um eine Straße zu bauen, die gebraucht wird, um Bäume abzutransportieren, die auf Märkten fernab verkauft werden sollen. Einige Umweltaktivisten organisieren eine Sitzblockade, um den Straßenbau zu verhindern, und liefern sich ein Rufgefecht mit den Straßenbauern und Holzfällern. Die Holzfäller rufen ihnen zu, dass sie wieder zurück in die Stadt gehen sollen, damit Einheimische sich ihr Geld mit echter Arbeit verdienen können.
Eine lokale Versammlung von Ureinwohnern, die lange vom Lachsfang leben konnten, geben eine erneute gerichtliche Beschwerde bekannt, um das Land ihrer Vorfahren wiederzubekommen – Berge und Flüsse, Pflanzen und Tiere, Friedhöfe und Ritualplätze – dessen Zukunft vor allem von den Nachfahren europäischer Einwanderer vereinnahmt wird.
Ein Politiker in Victoria wird von Wählern bedrängt, die es vehement ablehnen, dass der Regenwald an den Küsten abgeholzt wird. An diesem Abend wird in den Nachrichten darüber berichtet, wodurch Zuschauer in ganz Nordamerika erfahren, dass über das Schicksal des Great Bear Rainforest – auch bekannt als Nutzholzreservoir der mittleren und nördlichen Pazifikküste – ein Streit ausgebrochen ist. Diese Zuschauer knüpfen schnell die Verbindung zwischen dieser bedrohten Region und anderen verschwindenden Regenwäldern. In einer anderen Fernsehsendung nutzt ein Wissenschaftler, der auf die Erforschung von Ökosystemen spezialisiert ist, Satellitenbilder und GIS (Geoinformationssysteme), um zu zeigen, dass der Regenwald, um den es hier geht, die Größe eines kleinen Landes hat, dass große Teile davon schon zerstört wurden und dass in zwanzig Jahren – bei dem jetzigen Holzeinschlag – der Baumbestand vor allem aus Bauholz und Nutzholz für gierige Konsumenten bestehen wird. Obwohl er eigentlich als unparteiischer Experte spricht, zeigen der Ton seiner Stimme und sein Geschichtsausdruck die tiefe Sorge über die Zukunft des Regenwaldes.
Was nun ist der „wahre“ Regenwald? Der Wald des Käfers? Der Wald des Spechts? Des Bären? Des Försters? Des Fotografen? Der Wald der Lachse? Der Straßenarbeiter? Der Umweltschützer? Der Holzfäller? Der Ureinwohner? Der Wald des Politikers? Der Fernsehzuschauer? Der Sägemühlenarbeiter? Der Wald der Holzindustrie? Des Ökologen? Wir sind der Ansicht, dass der Regenwald aus all diesen Perspektiven – und vielen anderen – besteht. In diesem Buch geht es darum, wie wir all diese Perspektiven integrieren und ordnen können.
Das Verstehen multipler Perspektiven ist entscheidend wichtig für nachhaltige Lösungen, wie Darcy Riddell bei der Kampagne zur Rettung des Great Bear Rainforest in British Columbia herausfand. Zusammen mit vielen anderen war sie an den Verhandlungen zu dem historischen Abkommen im April 2001 beteiligt, in dem die Provinzregierung und die Holzindustrie zustimmten, große Bereiche des Great Bear Rainforest zu schützen. Zudem stimmten die Parteien überein, dass der gemeinsame Dialog über den Schutz weiterer Teile des Regenwaldes fortgesetzt wird und dass in anderen Teilen des Waldes ökologisch verträgliche Methoden beim Holzfällen angewendet werden. Nach fünf Jahren mit weiteren Verhandlungen wurde am 7. Februar 2006 ein umfassendes Paket mit Maßnahmen zum Schutz des Great Bear Rainforest verabschiedet.
Dieses Paket hat vier Kernelemente: Schutz des Regenwaldes, bessere Methoden beim Holzfällen, das Einbeziehen der Ureinwohner in den Entscheidungsprozess und Finanzierung von Maßnahmen des Naturschutzes, die verschiedene ökonomische Interessen berücksichtigen. Insgesamt wurden fünf Millionen Hektar Wald vor dem Einschlag geschützt, einschließlich neuer Naturparks (3,3 Millionen Hektar), schon bestehender Naturparks (1 Million Hektar) und neuer Zonen, in denen der Holzeinschlag verboten ist (736000 Hektar). Die verschiedenen Interessenvertreter stimmten darin überein, dass die Methoden zur Unterhaltung des Landes den Anforderungen des Naturschutzes entsprechen sollten und ab dem Jahr 2009 ein Ansatz implementiert werden sollte, der auf der Erkenntnis von Ökosystemen beruht. Das allgemeine Rahmenkonzept wurde von allen Ureinwohnern mitentwickelt und befürwortet und garantiert ihnen größeres Mitspracherecht und größere Macht bei der Entscheidungsfindung in Fragen der Entwicklung der Ressourcen in ihren angestammten Gebieten. Und schließlich sammelten US-amerikanische und kanadische Stiftungen und die Regierung von British Columbia 90 Millionen Dollar für ein Finanzierungspaket für Naturschutzprojekte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsprojekte in den Gebieten der kanadischen Ureinwohner.
Laut Riddell, deren Bericht über diese historische Kampagne als Fallstudie im vierten Teil des Buches erscheint, waren die Umweltaktivisten zunächst ausschließlich mit ihrer eigenen Perspektive identifiziert (die Perspektive der ökologischen Wissenschaft), wonach die Abholzung die Ökosysteme der Wälder entlang der Küste ernsthaft bedrohte. Mit diesen Tatsachen als Begründung forderten die meisten Umweltschützer einen vollständigen Stop der Abholzung. Aber damit ignorierten und verdrängten sie die Möglichkeit, dass wohlwollende Einzelne und Gemeinschaften andere Einschätzungen der gleichen Tatsachen vornehmen und verteidigen könnten. Riddell und einige ihrer Kollegen beschäftigten sich mit den verschiedenen ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Faktoren, die den bisherigen Strategien beim Holzeinschlag zugrunde lagen. Sie hatten erkannt, dass alle Beteiligten – einschließlich der Umweltschützer – den Great Bear Rainforest im Lichte zumindest einiger dieser anderen Perspektiven verstehen mussten, um eine nachhaltige, regionale Lösung zu finden. Weil sie verstanden, dass sich viele Menschen mit guten Absichten mit dem Wald verbunden fühlten, begannen Riddell und einige ihrer Kollegen mit Übungen zur persönlichen Transformation, um ihre „subtile Überheblichkeit“ zu verringern, die auf ihrer bisherigen Annahme basierte, dass nur ihre ökologische Perspektive berechtigt sei. In dieser Hinsicht praktizierten Riddell und ihre Kollegen einige wichtige Elemente der integralen Ökologie, obwohl die meisten von ihnen noch nie von integraler Theorie gehört hatten.
Schon bald erkannten die Umweltschützer, dass sie sich ernsthaft mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen mussten, statt die Wirtschaft nur als den Bereich des Menschseins zu sehen, der die meiste Verantwortung an der Zerstörung des Regenwaldes trägt. Deshalb baten sie die Zwischenhändler in Nordamerika, Nutzholz nur von Firmen zu kaufen, die sich verpflichteten, keine gemäßigten Regenwälder zu roden. Diese ökonomische Strategie führte zu einer flexibleren Haltung der Regierungsbeamten in British Columbia, die für die Nutzholzgewinnung zuständig waren. Sie konnten besser auf die Vertreter der Holzfäller zugehen, die sich um den Verlust ihrer angestammten Märkte sorgten. Und die Holzfäller stoppten ihre Hinhaltetaktik, die als „Reden und Roden“ bekannt war, und sie gingen auf Vertreter der Umweltschützer und Ureinwohner zu, was zu immer besseren Verhandlungen führte. Die Kampagne gegen ausgedehnte Rodungen, die auf die Holzhändler abzielte, brachte nicht nur größere ökonomische Vorteile für die Firmen, die nicht mit den Bestrebungen anderer Firmen und der Regierung, den ganzen Wald abzuholzen, übereinstimmten. Sie lenkte auch internationale Aufmerksamkeit und Kritik auf die Abholzungsmethoden der großen Firmen.
Weil ihnen nun Millionen besorgter Menschen über die Schultern schauten, hörten die Konfliktparteien nun ernsthafter und einfühlsamer den Argumenten der Gegenseite zu. So erkannte beispielsweise eine zunehmende Anzahl von Umweltaktivisten die Notwendigkeit, auch die drängenden ökonomischen und sozialen Probleme der Bewohner der Region anzusprechen, deren Leben mit dem Regenwald aufs Innigste verbunden war. Es wurde klar, dass realisierbare Lösungen auch ökonomische Alternativen zu zerstörerischen Rodungsmethoden beinhalten mussten. Als sich die Umweltschützer nicht mehr nur in ihrer „konfrontierenden Identität“ sahen, entwickelten sie sich von „außenstehenden Agitatoren zu lösungsorientierten Partnern“. Leider führte das dazu, dass einige Umweltaktivisten ihren Mitstreitern vorwarfen, sich an die Holzindustrie zu verkaufen. Trotz dieser Anschuldigungen berichtet Riddell, dass „die Verhandlungen es auch ermöglichten, dass sich die Konfliktparteien mit Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt begegnen konnten. Dadurch wurden [integrale] Fertigkeiten des gegenseitigen Verstehens gefördert.“ Wie wir noch sehen werden, beziehen sich integrale Fertigkeiten zum Teil auf die Fähigkeit, die ausschließliche Identifikation mit einer bestimmten Position aufzugeben, wie beispielsweise die moderne (Holzindustrie) oder postmoderne (grüne Umweltschützer) Position, und sich auf verschiedene Perspektiven und Wirklichkeiten einlassen zu können. Riddell schreibt dazu:
Wenn [integrale] Fertigkeiten entstehen, können komplexe Themen und verschiedene Perspektiven leichter in ganzheitliche, langfristige Lösungen integriert werden. Führungskräfte, die mit integralen Fertigkeiten handeln, wirken als kulturelle Katalysatoren für Empathie und Transformation und können in verschiedenen Weltsichten dynamisch engagiert sein. Sie können Menschen mit unterschiedlichen Interessen für gemeinsame ökologische, ökonomische, kulturelle, politische und soziale Ziele motivieren. Führungskräfte mit integralen Perspektiven können gesunde ökologische Weltsichten fördern, gegenseitiges Verstehen unterstützen und individuelle und kulturelle Transformationen mit zunehmender Weite und Tiefe anstoßen.
Die Notwendigkeit einer integralen Ökologie
Die zunehmende Einsicht in die Komplexität ökologischer Probleme hat Führungskräfte in Umweltorganisationen, Regierungen, Unternehmensbüros und Universitäten dazu bewegt, vermehrt nach interdisziplinären, multidisziplinären und sogar transdisziplinären Modellen zu suchen, um die Umweltprobleme zu lösen. Wir stimmen damit überein – wir brauchen eine umfassendere Landkarte, um unsere herausforderndsten Probleme zu verstehen und zu lösen. Riddells Anwendung einer Form der integralen Ökologie zeigt, wie erfolgreich solch eine umfassende Integration verschiedener Perspektiven und Disziplinen sein kann. Aber bis jetzt hatten die meisten von uns keinen Zugang zu einem fundierten theoretischen Modell, das verschiedene Disziplinen und Methoden integriert und ordnet, und zur umfassendsten Lösung führt. Wir sind der Ansicht, dass die integrale Ökologie dieses theoretische Modell ist, das auf den Unterscheidungen der integralen Theorie basiert.
Die integrale Theorie ist ein inhaltsfreier Bezugsrahmen, der von Ken Wilber und seinen Mitarbeitern entwickelt wurde. Laut Wilber „bedeutet das Wort integral so viel wie umfassend, inklusiv, nicht-unterdrückend, einschließend. Integrale Ansätze in jedem Bereich haben genau dieses Ziel: so viele Perspektiven, Denkweisen und Methodologien wie möglich in einem in sich sinnvollen Verständnis eines Themas einzuschließen. In gewissem Sinne sind integrale Ansätze ‚Meta-Paradigmen’ oder Wege, um eine Anzahl schon bestehender, voneinander getrennter Paradigmen miteinander zu verbinden. Und das geschieht in einem auf vielerlei Weise verbundenen Netzwerk von Ansätzen, die sich gegenseitig befruchten.“
Als Folge dieser Anwendbarkeit innerhalb und zwischen den disziplinären Grenzen wurde die integrale Theorie von vielen Menschen in unterschiedlichen Bereichen benutzt. In ihrer Anwendung im Kontext ökologischer Probleme organisiert die integrale Theorie Einsichten aus mehr als 200 verschiedenen Perspektiven, die zu einem umfassenderen Verständnis der beteiligten ökologisch-sozialen Dimensionen beitragen. Sicher besteht eine Notwendigkeit für ein Modell, das diese Organisation und Integration möglich macht, und ganz sicher könnte das Feld der Ökologie solch ein Modell gut gebrauchen.
Das integrale Modell ist der Ansicht, dass es mindestens vier Perspektiven gibt, die nicht aufeinander reduziert werden können, und zwei von ihnen wurden im akademischen und öffentlichen Diskurs über Fragen der Ökologie fast vollkommen vernachlässigt. Wenn wir eine dieser Perspektiven auslassen, kommen wir zu einem unvollständigen Verstehen und leider auch nur zu unvollständigen Lösungen. Wir müssen objektive, interobjektive, subjektive und intersubjektive Perspektiven einschließen. Die objektive Perspektive untersucht die Zusammensetzung und das äußerliche Verhalten individueller Phänomene, einschließlich Menschen, Bären, Lachsen und Käfern. Die interobjektive Perspektive untersucht die Struktur und das äußerliche Verhalten kollektiver Phänomene, von Ökosystemen bis zu politischen und ökonomischen Systemen. Die Daten, die von diesen beiden Perspektiven generiert werden, sind wertvoll, aber diese Daten erschöpfen nicht die „Wirklichkeit“ der untersuchten Phänomene, und sie bieten auch keine Motivation zum Handeln. Diese Motivation entsteht, wenn wir die betreffenden Phänomene durch zwei weitere Perspektiven erfahren – subjektiv (1. Person — ich, mich) und intersubjektiv (2. Person — du, wir). Diese Perspektiven bilden die inneren Aspekte der Phänomene und werden traditionell mit der ästhetischen Erfahrung und den kulturellen Werten assoziiert. Diese Perspektiven sind aus dem akademischen Diskurs über die Ökologie fast völlig verschwunden. Wir können unsere komplexe Innerlichkeit nicht allein durch Methoden der Naturwissenschaft oder Sozialwissenschaft verstehen. Und wir können die natürliche Welt nicht nur durch unsere innerliche Erfahrung verstehen. Wir brauchen beides.
Die integrale Theorie bezeichnet diese nicht reduzierbaren Perspektiven als Quadranten und fasst sie als Erfahrung (subjektiv, 1. Person), Kultur (intersubjektiv, 2. Person), Verhalten (objektiv, 3. Person Singular) und Systeme (objektiv, 3. Person Plural) zusammen. Wir können keine dieser Perspektiven verstehen, wenn wir Methoden benutzen, die dafür bestimmt sind, die Wirklichkeiten einer anderen Perspektive zu analysieren. Somit verhindert die integrale Theorie den Reduktionismus, besonders den „groben Reduktionismus“ oder die Reduzierung der gesamten Wirklichkeit auf individuelle, objektive Phänomene (die Reduzierung aller Innerlichkeiten und Systeme auf Atome oder individuelle „Es“-Phänomene). Aber sie verhindert auch den subtilen Reduktionismus oder die Reduzierung aller Innerlichkeiten auf interobjektive Phänomene (die Reduzierung der „Ich“- und „Wir“-Perspektiven auf miteinander verbundene Systeme, also „Es“-Wirklichkeiten). Die ökologische Wissenschaft neigt typischerweise mehr zu der letzteren Form des Reduktionismus und dieser subtile Reduktionismus hat ein unvollständiges Verstehen der Natur zur Folge und führt weiterhin zu unvollständigen Lösungen für einige unserer schwersten Probleme.
Ganz eindeutig gibt es hier eine Notwendigkeit für subjektive und intersubjektive Perspektiven, weil sie am Verhandlungstisch sitzen (wir haben nicht nur ökologische Probleme, wir haben menschliche Probleme!). Intersubjektivität (2. Person) entsteht zwischen zwei Subjekten: ich und du. Unterschiedliche Menschen werden die gleichen Daten unterschiedlich erfahren und einordnen. Wenn die daran beteiligten Subjekte nicht die kulturellen Hintergründe – die Glaubenssätze, Werte, Normen, religiösen Traditionen und die ethnische Selbstidentifizierung – der anderen Subjekte beachten, wird es schwierig, einen gemeinsamen Boden zu finden und sich zu verstehen. Ohne Verstehen und Flexibilität ist es kaum möglich, sich auf eine nachhaltige Lösung zu einigen. Für die Schaffung eines gemeinsamen Bodens und erfolgreichen, einschließenden Verhandlungen ist es entscheidend wichtig, dass wir die Voraussetzungen und Glaubenssätze, die unser Gegenüber prägen, verstehen, und beobachten, inwieweit unsere eigene Erfahrung von einem unnachgiebigen Festhalten an eine bestimmte Position geprägt ist.
Es ist schwer, einen ehrlichen gegenseitigen Respekt zu erreichen, selbst unter Experten aus verschiedenen Gebieten, denn Experten denken oft, dass ihre bestimmte Methode oder Perspektive die einzig richtige oder die wertvollste ist. Es gibt eine Notwendigkeit für eine integrale Ökologie, die dieser Vorherrschaft einer Methode widersteht – der Annahme, dass eine Perspektive oder einige wenige Perspektiven die einzigen nützlichen und angemessenen Hypothesen zu komplexen ökologischen Problemen geben können. Durch das Vermeiden dieser Vorherrschaft einer Methode schafft die integrale Ökologie einen Meta-Bezugsrahmen, der die unvollständigen Wahrheiten aller Denktraditionen umfasst und in einen Kontext setzt. Mark Edwards bemerkt dazu: „Die integrale Theorie fördert die Entmythisierung [das heißt die Entabsolutisierung, also den Abbau von Absolutismen] und dadurch wirkt es den als heilig verehrten Reduktionismen und Absolutismen entgegen, die von vielen Methodologien praktiziert werden.“ Stattdessen koordiniert und organisiert sie all diese unvollständigen Perspektiven in einem umfassenderen Ganzen.
Die integrale Ökologie untersucht neben den äußeren Gegebenheiten nicht nur die inneren Bereiche, sondern sie untersucht auch, wie diese inneren Dimensionen sich in Lebewesen im Allgemeinen und in Menschen im Besonderen entwickeln. Die integrale Ökologie vertritt die Ansicht, dass alle Organismen subjektive und intersubjektive Dimensionen haben, und beschreibt, wie die innere Entwicklung des Menschen unsere Beziehung zur Natur grundlegend beeinflusst. Bis jetzt haben Ökologen und der ökologische Diskurs meistens eine explizite Anerkennung des Inneren und dessen Entwicklung ausgeschlossen – und seien wir uns darüber im Klaren: Wir müssen unsere innere individuelle und kollektive Beziehung zur Natur verstehen, denn in unserem Inneren finden wir die Motivation, in gesünderer Weise mit der Natur umzugehen.
Um ein Ökosystem konzeptuell zu verstehen, brauchen wir eine weit entwickelte Kognition, eine Ebene von Kognition, die Kinder noch nicht erreicht haben (eine Ebene von Kognition, die vor einigen Jahrhunderten selbst für die meisten Erwachsenen unerreichbar war). Verschiedene Arten von Phänomenen können sich nur in einer angemessenen Perspektive, Öffnung oder einem angemessenen Welt-Raum (world space) manifestieren – und in diesem Sinne auch nur in einem solchen Raum existieren (diesen Punkt werden wir im 5. Kapitel noch ausführlich diskutieren). Wenn der Welt-Raum, der für das Erscheinen eines bestimmten Phänomens notwendig ist, nicht gegeben ist, dann kann dieses Phänomen nicht entstehen. In gewisser Weise gab es Ökosysteme schon lange, bevor Ökologen sie so bezeichnet haben, aber in einer anderen Betrachtungsweise kamen Ökosysteme als besondere Phänomene erst ins Sein, als wir den kognitiven Welt-Raum geschaffen hatten, der für das Erkennen von Ökosystemen notwendig ist. Aber wir sollten uns hier nicht täuschen lassen: Die integrale Theorie ist kein subjektiver Idealismus. Die Dinge existieren wirklich, aber sie manifestieren sich nur in einem Welt-Raum, der ihr Erscheinen erlaubt.
Basierend auf Jahrzehnten der Forschung in Philosophie und Sozialwissenschaften vertritt die integrale Theorie die Auffassung, dass der Geist nicht einfach nur ein Spiegel ist, der eine vorgegebene Wirklichkeit reflektiert. Stattdessen ermöglicht und begrenzt der Geist die Art und Weise wie Dinge erscheinen. Der Welt-Raum, den ein Kind offen halten kann, ist sicher komplexer als der Welt-Raum eines Frosches, aber nicht so komplex, wie der Welt-Raum eines Erwachsenen. Während des Erwachsenwerdens erweitert und vertieft sich der Welt-Raum des Menschen in vielerlei Hinsicht. Weil ein weiteres und umfassenderes Inneres das Entstehen eines größeren Welt-Raums ermöglicht, sind die Schlussfolgerungen über ein bestimmtes Phänomen umfassender und haben deshalb einen größeren Wert als andere Annahmen. Somit ist der integrale Perspektivismus nicht mit dem Relativismus gleichzusetzen. Wir behaupten nicht, dass alle Perspektiven gleich sind. Einige Wahrheiten sind umfasender als andere. Der integrale Perspektivismus ist der Ansicht, dass unvollständige Weltsichten und unvollständige Perspektiven zu unvollständigen Wahrheiten führen. Diese unvollständigen Wahrheiten sind richtig und wichtig, aber sie müssen in einen größeren und umfassenderen Kontext integriert werden. Ohne ein integrales Bezugssystem haben wir momentan kein Rahmenwerk, das in der Lage ist, diese unvollständigen Perspektiven und Weltsichten zu integrieren und zu ordnen. Ganz sicher besteht die Notwendigkeit für solch ein Bezugssystem.
Dieses immer umfassender werdende Muster zeigt sich in allen vier Quadranten – Erfahrung (subjektiv), Verhalten (objektiv), Kultur (intersubjektiv) und Systeme (interobjektiv). So wie sich das Innere entwickelt (wenn sich beispielsweise der Welt-Raum eines Kindes zum komplexeren Welt-Raum des Erwachsenen entwickelt), entwickelt sich auch das Äußere (wenn beispielsweise eine Eichel zu einem Baum wird). Die integrale Ökologie erkennt in allen vier Quadranten oder in allen Dimensionen oder Perspektiven – Systeme, Verhalten, Erfahrung und Kultur – Ebenen der Komplexität:
- Ökosysteme werden durch natürliche und soziale Systeme gebildet und beeinflusst.
- Ökosysteme beinhalten auch das individuelle Verhalten der Organismen, auf allen Ebenen (einschließlich Mikroben und Menschen). Diese Organismen werden als Mitglieder (nicht Teile) des Ökosystems verstanden.
- Mitglieder eines Ökosystems haben eine unterschiedliche Ebene von Innerlichkeit (Wahrnehmung, Erfahrung, Intentionalität und Gewahrsein).
- Mitglieder eines Ökosystems interagieren innerhalb ihrer Spezies und darüber hinaus, um Horizonte der gemeinsamen Bedeutung und des gegenseitigen Verstehens zu schaffen.
Die integrale Ökologie schafft einen Bezugsrahmen, der es ermöglicht, dass alle Aspekte der Wirklichkeit mit dem verbunden werden können, was traditionell als die wissenschaftliche Erforschung der Ökologie bezeichnet wurde. Aber anstatt alle Verbindungen in einer Haltung des „Alles ist Ökologie“ kollabieren zu lassen, betont die integrale Ökologie die Faktoren, die miteinander verbundene Phänomene unterscheiden. Während also alles als miteinander verbunden verstanden werden kann, ist nicht alles in der gleichen Weise oder im gleichen Maße verbunden! Das Cliché, „Alles ist miteinander verbunden“, wird zu „Alles ist miteinander verbunden, aber einige Dinge sind verbundener, als andere“. Mit anderen Worten, es gibt ein Spektrum der gegenseitigen Verbundenheit bei Variablen, was sowohl in Bezug auf die Tiefe als auch auf die Spanne zutrifft. Daraus ergibt sich je nach der Perspektive, die man einnimmt, dass einige „Teile“ in Wirklichkeit nicht sehr verbunden mit anderen „Teilen“ sind.
Die vier Dimensionen jedes Phänomens entstehen zusammen und beeinflussen sich wechselseitig in einer komplexen Art und Weise; und keine davon hat eine ontologische Priorität. Wenn wir also ein ökologisches Problem lösen wollen, müssen wir mehr tun, als nur die ökologisch-systemischen Aspekte untersuchen, also ob beispielsweise ein Umweltgift die Nahrungskette verändert hat. Wir müssen auch untersuchen, wie die Umweltverschmutzung die Aspekte der Ästhetik, Lebensgestaltung, der Wirtschaft und Kultur, der Gemeinschaft und der Organismen, die davon abhängen, beeinflusst, und wie sie von ihnen interpretiert wird.
Zusammengefasst kann man sagen, dass die integrale Ökologie die Entwicklung und Anwendung eines umfassenden Ansatzes für Umweltfragen fördert. Dieser Ansatz ordnet Einsichten aus verschiedenen ökologischen Denkrichtungen in einem umfassenden Bezugssystem. Dieses neue Bezugssystem hat vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten in vielen Kontexten: Outdoor-Schulen, Stadtplanung, Wildnistouren, Gesetzesbildung, Wiederherstellung natürlicher Umgebungen, die Erfassung des Einflusses bestimmter Aktivitäten auf die Umwelt, Entwicklung von Gemeinschaften und grüne Wirtschaft, um nur einige zu nennen. Die integrale Theorie geht über viele Probleme hinaus, die die gegenwärtigen, unvollständigen Ansätze für die Lösung von Umweltproblemen kennzeichnet, und bildet ein Verstehen von Individuen, Gemeinschaften und Systemen, das die Erkenntnisse der Entwicklungsforschung miteinbezieht. Dadurch bezieht sich die integrale Ökologie auf die Expertise vieler Disziplinen und bietet sehr umfassende, weitsichtige und flexible Lösungen für die Umwelt – Lösungen, die das Innere der Tiere und Menschen würdigen, und die uns auf vielen Ebenen in eine gesunde Beziehung zur Erde bringen können.
Aldo Leopolds Entdeckung des Inneren
Aldo Leopold, der Vordenker der angloamerikanischen Umweltbewegung, war Wissenschaftler, Naturforscher, Autor, Umweltaktivist, Jäger und Bauer. Sein Buch A Sand County Almanac, das vor 60 Jahren geschrieben wurde, enthält Elemente einer integralen Ökologie. Er war ein Pionier des Perspektivismus. Im Laufe der Jahre wurde er immer wieder von Ökologen und Umweltschützern als einer der wichtigsten Vordenker in ihrem Forschungsfeld zitiert. In der Tat bezeichnet The Enviromentalist’s Bookshelf Leopolds A Sand County Almanac basierend auf einer Befragung von 200 Experten in Ökologie und Umweltschutz als das einflussreichste Buch unter Umweltschützern.
Leopold beschrieb das Land als die vielen verschiedenen Lebensräume der Erde und die damit verbundenen Lebensformen. Er erkannte, dass die objektiven und interobjektiven (3. Person Singular und Plural) Methoden, die von der Naturwissenschaft benutzt werden, wichtige Erkenntnisse über das Land und die Nutzung des Landes brachten. Aber er dachte, dass die Einsichten, die durch diese Perspektiven zugänglich werden, oftmals nicht verhindern konnten, dass Landschaften auf längere Sicht zerstört wurden. Er glaubte, dass andere Perspektiven dringend notwendig sind, und deshalb nutzte er auch andere, genauso wertvolle subjektive und intersubjektive Perspektiven, die er als ästhetisch (subjektiv), ethisch und kulturell (intersubjektiv) bezeichnete.
Leopolds Ethik des Landes sah die Notwendigkeit voraus, Bewusstsein, Kultur und Natur in der Erforschung der Ökologie miteinzubeziehen, um ein umfassenderes Verständnis zu erreichen. Leopold berichtet, dass seine eigene objektivierende, instrumentelle Haltung (3. Person Singular) gegenüber dem nichtmenschlichen Leben sich veränderte, als er als junger Mann mit ein Paar Freunden ein Reh jagte. Als er dabei ein Rudel Wölfe entdeckte, schoss er auf einen der Wölfe und ein Junges – zu dieser Zeit wurden Wölfe als wertlose, gefährliche Raubtiere betrachtet. Als er zu dem sterbenden Wolf ging, sah er ein „loderndes grünes Feuer in seinen Augen erlöschen“. In diesem Moment erkannte Leopold, dass der Wolf ein wolfsartiges subjektives Empfindungsvermögen hatte und dass der Wolf auch eine intersubjektive Beziehung zu ihm hatte. Weit entfernt von einem Verhaltensmechanismus brachte der Wolf etwas zum Ausdruck, das ähnlich, wenn auch verschieden, von der Sehnsucht, den Wünschen und der Angst war, die auch Leopold selbst erfuhr. Der Wolf hatte sein eigenes Leben. Um den Wolf zu verstehen, musste man mehr tun, als ihn wiegen und messen, und die Funktion seiner Organe untersuchen, sein Verhalten studieren und seine Funktion als eines der größten Raubtiere der Bergwelt verstehen. Dazu war auch ein subjektives und intersubjektives Verstehen und eine damit verbundene Wertschätzung dessen nötig, was es bedeutet, ein Wolf zu sein!
Als jemand, der jahrelang in Regierungsbehörden gearbeitet hatte und als Naturwissenschaftler ausgebildet war, wusste Leopold, dass seine Kollegen, die alle vom reduktionistischen Materialismus und der Verhaltensforschung beeinflusst waren, ihn nicht ernst nehmen würden, wenn er versuchte, Ästhetik und Ethik in die Regelungen der Landnutzung einzuführen. In der Tat war er der Ansicht, dass nichts weniger als ein evolutionärer Fortschritt – ein Fortschritt, bei dem die Menschen lernen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und dadurch die Innerlichkeit anderer Wesen erkennen können – die Gesellschaft über die instrumentelle Sicht der Moderne hinausführen würde, in der das Land einfach ein Rohmaterial für menschliche Zwecke ist.
Aber Leopold konnte seine Intuition, dass Verhaltensforschung (Objektivismus) und Systemtheorie (Interobjektivismus) nur zu einem unvollständigen Verstehen des tierischen Lebens und des Landes führen können, nicht klar artikulieren und vertreten. Er erkannte das grundlegende Paradox des Umweltschutzes: Umweltschützer schätzen die Natur, hängen aber oft einem Verständnis der Natur an, das entweder Werte (subjektive und intersubjektive Perspektiven) ausschließt oder sie als nützliche Erfindung sieht, die das menschliche Überleben begünstigen. In der modernen Kosmologie ist, wie Kant befürchtete, kein Platz für ästhetische Erfahrung, Moral, Bewusstsein und Subjektivität. Umweltschützer sprechen oft über die Natur als ein komplexes, dynamisches System, in dem Menschen, so wie andere Tiere und Pflanzen, einfach nur die Fäden in einem kosmischen Gewebe sind, das weder Hierarchie noch eine Richtung hat. Aber wenn Menschen nur die Fäden in der komplexen Anordnung der Dinge sind – das Sein – dann sind sie nicht dazu in der Lage, nach einer Veränderung des Handelns auf der Basis moralischer Verpflichtung – dem Sollen – zu verlangen.
In diesem Buch bauen wir auf der Arbeit derjenigen auf, die wie Leopold die Notwendigkeit erkannt haben, dass wir die Innerlichkeit des Menschen und der Tiere in unserem Verständnis der Natur und der Beziehung der Menschheit zu ihr miteinbeziehen müssen. Deshalb definieren wir die Ökologie aufbauend auf klassischen Definitionen als die mit verschiedenen Methoden arbeitende Erforschung der subjektiven und objektiven Aspekte von Organismen in Beziehung zu ihrer intersubjektiven und interobjektiven Umgebung auf allen Ebenen der Tiefe und Komplexität.
Innerlichkeiten und Anthropozentrismus
Einige Kritiker (meist wissenschaftliche Ökologen) haben sich beklagt, dass Leopold anthropomorphen Ideen anhing, weil er seine Erfahrungen mit Tieren in der Wildnis personalisiert habe. Nach Ansicht des Positivismus, des Behaviorismus und des eliminativen Materialismus sind wir schon in anthropomorphen Ideen gefangen, wenn wir Menschen Gewahrsein, Innerlichkeit und Persönlichkeit zusprechen! Zusätzlich zum Vorwurf, anthropomorphe Ideen zu verbreiten, haben Umweltschützer ihn auch des Verbrechens des Anthropozentrismus schuldig gesprochen.
Die integrale Ökologie aber transzendiert die Dualität von Anthropozentrismus und Anti-Anthropozentrismus, die so viele ökologische Debatten bestimmt. So wie es ein Fehler der Anhänger des Anthropozentrismus ist, wenn sie nichtmenschliches Leben so behandeln, als hätte es keinen innerlichen Wert, so ist es auch ein Fehler der Vertreter des Anti-Anthropozentrismus, wenn sie ignorieren, dass der Mensch eine herausragende Entwicklung der Evolution auf der Erde ist.
Die integrale Ökologie erscheint vielleicht anthropozentrisch, weil wir in einem der drei Werte (d. h. dem inneren Wert) der Ansicht sind, dass Menschen etwas Besonderes sind, zum Teil deshalb, weil Menschen mit einer inneren Tiefe ausgestattet sind, die es uns ermöglicht, den innerlichen Wert der Natur anzuerkennen! Aber in Bezug auf den äußerlichen Wert sind Menschen nicht so bedeutsam und mit Hinblick auf den grundlegenden Wert sind Menschen von gleichem Wert wie alle anderen Lebensformen. Wie Leopold anmerkt: „Es ist etwas Neues unter der Sonne, wenn eine Spezies den Tod einer anderen Spezies betrauert. Deshalb müssen wir, die wir unsere Wildtauben (Passenger Pigeons, eine nordamerikanische Taubenart, die Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist, A. d. Ü.) verloren haben, darüber klagen. Wäre es unsere Beerdigung gewesen, hätten die Tauben uns wohl kaum betrauert.“
Obwohl der Mensch ein weit entwickeltes Inneres hat und eine erstaunliche Fähigkeit für Sprache, ist das Innerliche nicht auf Menschen beschränkt – das war Leopolds wichtige Erkenntnis. In der Tat ist die integrale Ökologie radikal nicht-anthropozentrisch, weil sie der Ansicht ist, dass das Innerliche „bis ganz nach unten geht“ (d. h., das Innerliche ist ein grundlegendes Merkmal des Universums). Die Fähigkeit der Erfahrung finden wir in der ganzen Natur, wie schwach sie auch sein mag. Ein Reh und ein Mensch haben nicht die gleiche innerliche Erfahrung. Ganz klar ist die Erfahrung des Menschen in bedeutsamer Weise tiefer, aber sie haben beide eine Erfahrung und sie haben beide einen Wert und müssen in einer integralen Ökologie berücksichtigt werden. Ironischerweise kann nur der Mensch eine ökologische Erkenntnis der „Einheit“ mit der Natur entwickeln – und zudem ist die Anzahl der Menschen, die das erkennen, sehr klein und die Anzahl derjenigen, die diese Erkenntnis stabil halten können, noch kleiner. Deshalb ist die ökozentrische Erkenntnis eine anthropozentrische Erfahrung!
Darwin war der Ansicht, dass Menschen nicht das Ergebnis eines besonderen Schöpfungsaktes sind, sondern stattdessen von anderen Tieren abstammen, als Ergebnis zufälliger Mutationen, die sich als angemessen oder vorteilhaft herausgestellt haben. Der darwinistische Naturalismus versteht Menschen als intelligente Tiere, die sich zufällig entwickelt haben. Viele Umweltschützer greifen auf die Evolutionstheorie (und andere wissenschaftliche Konzepte) zurück, um die arrogante Selbstwichtigkeit des Menschen zu reduzieren, was aber manchmal zu einem falschen Umgang mit der nichtmenschlichen Natur geführt hat. In der noblen Absicht, Tiere und Lebensräume vor der durch den Menschen verursachten Zerstörung zu schützen, nehmen viele Umweltschützer anti-anthropozentrische oder gar misanthropische Haltungen ein. In der Tat würden einige radikale Umweltschützer es gar vorziehen, wenn der Mensch als Ganzes verschwinden würde, wodurch angeblich ein Krebsgeschwür aus dem Netz des Lebens entfernt werden würde.
Diese Haltung ist ein Missverständnis. Die Fähigkeit für umfassende moralische Bewertung (selbst die Fähigkeit, menschliches Verhalten als selbstzentrisch zu bewerten) unterscheidet Menschen von anderen Lebewesen. In der Tat haben Umweltschützer eine innerliche Tiefe, die es ihnen erlaubt, andere Menschen aufzufordern, das moralisch Richtige zu tun und ihre Fortpflanzung einzuschränken, Lebensräume zu bewahren und nichtmenschliche Spezies zu schützen. Aber wenn Menschen nur eine weitere Tierart unter vielen anderen sind, ist nichts moralisch Falsches daran, wenn der Mensch andere Spezies verdrängen würde – es wäre ein Ausdruck des Drangs des Universums, die Fortpflanzung zu maximieren (sicher würde weder ein Biologe noch ein Umweltschützer eine nichtmenschliche Spezies moralisch kritisieren, wenn diese ihre Fortpflanzung maximiert). Natürlich kann es zum Zusammenbruch einer Spezies oder zum Aussterben führen, wenn eine Spezies die Belastungsfähigkeit des Lebensraums überschreitet, aber dabei gibt es kein moralisches Fehlverhalten. Wenn wir eine naturalistische Sichtweise der Menschheit akzeptieren, können wir den Menschen nur empfehlen, dem vernünftigen Sollen zu folgen: Wir müssen unser Verhalten gegenüber den nichtmenschlichen Spezies ändern, um das langfristige Überleben und Wohlergehen des Menschen zu sichern. Viele Umweltschützer bestehen aber darauf, dass es hier auch ein moralisches Sollen gibt, dem wir folgen müssen: Wir müssen unser Verhalten, einschließlich unseres Fortpflanzungsdranges, einschränken, damit andere Lebensformen überleben und wachsen können. Diese Empfehlung ist ein Missverständnis, weil sie nicht mit der naturalistischen Sichtweise in Übereinstimmung gebracht werden kann, nach der der Mensch nur eine Spezies unter anderen ist, und an die gleichen Gesetze gebunden ist wie alle anderen Spezies. Wir bezeichnen keine andere Spezies als unmoralisch, wenn sie ihre eigenen Überlebenschancen maximiert. Wenn wir ähnliches menschliches Verhalten als unmoralisch bezeichnen, dann tun wir das vor dem Hintergrund, dass der Mensch sich von allen anderen bekannten Spezies in bedeutsamer Weise unterscheidet. Die (oft unausgesprochene) Voraussetzung, dass nur Menschen für ihr Verhalten moralisch verantwortlich sind, erinnert uns daran, dass mit der Emergenz der menschlichen Spezies etwas Neues, Außergewöhnliches und Gefährliches auf der Erde geschehen ist. Wir werden das integrale Modell und diese wichtigen Diskussionen – die die Beziehung des Menschen mit der Natur bestimmen und verzerren können – im weiteren Verlauf des Buches vertiefen.
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Die Rückkehr der Innerlichkeit: Eine Neudefinition der Beziehung zwischen Mensch und Natur
Der ökologische Ansatz, der in Eros, Kosmos, Logos entwickelt wird, kombiniert ökologische Einheit, Systemtheorie und nonduale Spiritualität, aber ohne der Biosphäre ein besonderes Privileg zu geben und ohne die Vorstellung eines Gewebes des Lebens zu verwenden, die meiner Ansicht nach ein reduktionistisches Konzept des Flachlands ist. Stattdessen ermöglicht ein Ansatz in Bezug auf die Ökologie, der alle Quadranten und alle Ebenen berücksichtigt, dass wir unseren Platz in der Physiosphäre, Biosphäre, Noosphäre und Theosphäre in seinen angemessenen Beziehungen zum Kósmos* als Ganzem finden. Dadurch können wir die entscheidende Bedeutung der Biosphäre hervorheben, ohne alles auf die Biosphäre reduzieren zu müssen.
Ken Wilber, Eine kurze Geschichte des Kosmos
* Wilber macht in seinen Schriften die Unterscheidung zwischen cosmos und Kosmos, was im Deutschen oft mit Kosmos und Kósmos wiedergeben wird. Über diese Unterscheidung schreibt Wilber: „… wobei der Ausdruck ‚Kósmos’ in diesem umfassenden Sinne auf die Pythagoreer zurückgeht. In dieser Bedeutung bezeichnet er die Strukturiertheit und Prozesshaftigkeit aller Daseinsbereiche, von der Materie über den Geist zu Gott, und nicht nur das physische Universum, wie man ‚Kosmos’ und Universum“ heute üblicherweise versteht.“ (A. d. Ü.)
Wo ist unsere Innerlichkeit geblieben?
Viele Umweltprobleme sind typischerweise schwer zu definieren und noch schwerer zu lösen. Natürliche Prozesse haben viele Facetten, viele Ebenen, es sind komplexe Anpassungssysteme, weshalb alle Versuche, sie zu charakterisieren, von Unsicherheit umgeben sind. Noch schwieriger ist es, verlässliche Vorhersagen über sinnvolle Interventionen zu machen. In der Tat wissen wir alle, dass manche Intervention die Dinge noch verschlimmern. Zudem widersprechen sich intelligente Menschen oft berechtigterweise, ob es in verschiedenen Situationen überhaupt Umweltprobleme gibt. Denn verschiedene Menschen und Kulturen haben verschiedene Zugänge, um die selbe Situation zu bewerten. Weil sich Umweltprobleme und deren Lösungen abhängig von unserer Perspektive unterschiedlich manifestieren, müssen wir verschiedene Perspektiven und Methoden einschließen – ökonomische, ethische, kulturelle, wissenschaftliche, phänomenologische und epistemologische – um sie zu verstehen und zu lösen. Hinzukommt, dass Umweltprobleme Merkmale beinhalten, die sich nur zeigen, wenn man subjektive und intersubjektive Perspektiven anwendet, aber diese Perspektiven werden selten berücksichtigt. Wie können wir eine umfassende Lösung finden, ohne ein umfassendes Verständnis und ein umfassendes Bild des Problems? Warum wurden einige Perspektiven ausgelassen?
Wir sind nicht die Einzigen, die die Vielschichtigkeit von Umweltproblemen erkannt haben. Im Jahre 2004 organisierte die Ecological Society of America (ESA) während ihrer jährlichen Konferenz eine Podiumsdiskussion. Dabei sagte der Chef des Forest Service Dale Bosworth, dass er „eingeschüchtert“ sei von der abschreckenden Komplexität der Umweltprobleme und forderte eine erweiterte Ökologie: „Wir brauchen mehr als technologische Problemlösungen. Wir müssen uns auf die Probleme in ihrer umfassenden Dimension fokussieren – ihre sozialen, behördlichen, politischen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen.“
Obwohl Bosworth sich auf die „umfassenden Dimensionen“ der Umweltprobleme fokussieren will, vergisst er, die ethischen, kulturellen, interpersönlichen, psychologischen oder ästhetischen (subjektiven und intersubjektiven) Dimensionen dieser Probleme zu erwähnen. Selbst sein „erweiterter Ansatz“ ist immer noch lediglich eine objektive und interobjektive (3. Person Singular und Plural) Perspektive: sozial, politisch, ökonomisch und ökologisch! Er ignoriert unbeabsichtigterweise weiterhin unser individuelles und kollektives Innerliches.
In seinem Buch Consilience (das den Pulitzer-Preis gewann) versucht der Biologe E. O. Wilson den Zusammen-Sprung (con-silience) verschiedener Perspektiven, einschließlich der Natur- und Geisteswissenschaften, aber er benutzt nur physische, biologische und soziale Methodologien (objektive und interobjektive Methodologien). Dazu reduziert er die innerlichen Eigenschaften der subjektiven (Erfahrung der 1. Person) und intersubjektiven (Intersubjektivität der 2. Person) Werte auf objektive und interobjektive Phänomene (3. Person Singular und Plural). Wir stimmen mit der Absicht von Consilience überein, bestehen aber darauf, dass wir Subjektivität und Intersubjektivität als eigenständige Phänomene untersuchen müssen, statt als Epiphänomene eines angeblich grundlegenderen materiellen oder physischen Prozesses. Wir können unsere subjektiven und intersubjektiven Dimensionen nicht zu äußerlichen Objekten reduzieren. Die inneren Dimensionen müssen eigenständig interpretiert werden.
Obwohl also Ökologen, Gesetzgeber und besorgte Bürger manchmal die Notwendigkeit einer erweiterten Ökologie erkennen, schlagen sie in der Regel eine Vision vor, die aus der objektiven und interobjektiven (3. Person) Perspektive besteht. Warum wurden unsere subjektiven (1. Person) und intersubjektiven (2. Person) Perspektiven ausgeschlossen?
Die Antwort ist ziemlich komplex und umfasst mehrere Hundert Jahre Geschichte. In diesem Kapitel beschreiben wir, wie und wann unser Innerliches auf unser Äußerliches reduziert wurde und warum wir das Innerliche berücksichtigen müssen, um das umfassendste Verständnis zu entwickeln und die umfassendsten Lösungen zu finden.
Das Innerliche – Verloren gegangen im Lauf der Geschichte: Aufstieg versus Abstieg
Jahrhundertelang ignorierte die europäische Zivilisation die materielle Welt, die der Heilige Augustinus als Stadt der Menschen bezeichnete. Stattdessen richteten die Christen ihre Aufmerksamkeit auf die kommende Welt, die Stadt Gottes. Die christliche Tradition forderte ihre Anhänger auf, zu einem ewigen, spirituellen Bereich aufzusteigen, statt an vorübergehenden sinnlichen Freuden oder vergänglichen irdischen Geschäften anzuhaften.
Mit Beginn der frühen Moderne forderten die Menschen jedoch größere Unabhängigkeit von der Kirche. Statt für ein überweltliches Neues Jerusalem zu beten, verbreitete sich in der Moderne die Überzeugung, dass das Paradies durch menschliche Errungenschaften und Genialität auf dieser Welt errichtet werden kann. Zunehmend wurde die Kirche als eine aufdringliche, abergläubische und korrupte Institution gesehen.
Vor der Entstehung der Moderne hatte die Kirche die Macht über all diese Bereiche inne (Stellen Sie Hypothesen über die Schwerkraft an – eine berechtigte wissenschaftliche Forschung – und Sie landen im Gefängnis!). Die Verfechter der Moderne erreichten die bahnbrechende und entscheidend wichtige Veränderung, durch die die verschiedenen Bereiche der Wahrheit, Macht und Autorität differenziert wurden. Aber es scheint, dass die Modernisten ihrem Glauben an die materielle Welt etwas zu weit folgten. Indem sie auf den Ruf reagierten, dass wir uns über den irdischen Bereich erheben sollten, begaben sich die Modernisten in den Abstieg. Sie stiegen so weit ab, dass sie nur noch an diesen irdischen Bereich glaubten, an all das, was mit den Sinnen erkannt werden konnte – materielle Objekte. Die Absteiger verneinten die Möglichkeit eines Aufstiegs vollkommen oder erkannten ihn nun in dem endlosen, horizontalen „Fortschritt“ der ökonomisch-wissenschaftlichen Entwicklung. In dem Versuch, einen Freiraum für die Wissenschaft, Ökonomie, Philosophie und Kunst zu schaffen, schütteten die Modernisten schließlich das spirituelle Kind mit dem prämodernen Badewasser aus, und damit waren auch die innerlichen Perspektiven verschwunden.
Wilber ist der Ansicht, dass der Kampf zwischen Aufsteigern und Absteigern „der zentrale und bestimmende Konflikt im westlichen Denken ist“. Aufsteiger versuchten, sich über den fehlerhaften, materiellen Bereich zu erheben, um im ewigen Einen aufzugehen. Aber für Anhänger des Abstiegs war Gott nicht das Eine, sondern die Vielen. In der Verehrung des/der unglaublich vielgestaltigen, sichtbaren, erfahrbaren, sinnlichen Gottes/Göttin waren die Absteiger „verzückt in einer schöpfungszentrierten Spiritualität, die jeden Sonnenaufgang und jeden Mondaufgang als sichtbaren Segen des Göttlichen sah“.
Erlösung in der modernen Welt – ob von der Politik, der Wissenschaft, der Wiederbelebung der Erdreligion, ob sie vom Marxismus, von der Industrialisierung, dem Konsumrausch, von der Rückkehr in die Stammesgesellschaft, von der Sexualität, der Wiederbelebung des Gartenbaus oder vom wissenschaftlichen Materialismus, ob sie von der Hinwendung zur Erdgöttin oder zur Ökophilosophie und so weiter und so fort angeboten wird – Erlösung ist in der modernen Welt nur auf dieser Erde zu finden, in den Erscheinungen, in der Manifestation, in der Welt der Formen, in der reinen Immanenz, nur im Abstiegsraster. Es gibt keine höhere Wahrheit, keinen aufsteigenden Strom, nichts Transzendentes. Alles, was irgendwie „höher“ oder „transzendent“ ist, ist heute der Teufel. … Die ganze Moderne und Postmoderne bewegt sich grundsätzlich und fast ausschließlich innerhalb dieses Abstiegsrasters, des Rasters von Flachland. (Wilber, Eine kurze Geschichte des Kosmos)
Im Anschluss an Max Weber und Jürgen Habermas bemerkt Wilber, dass die Moderne drei Bereiche ausdifferenzierte (Kunst, Moral und Wissenschaft), die er auch als die Großen Drei bezeichnet (Ich, Wir, Es): (1) Bewusstsein, Subjektivität. Selbst, Selbstausdruck (einschließlich der Kunst), zu deren Wahrheitsmodus Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit gehören; (2) Ethik, Moral, Weltsicht, Kultur, intersubjektive Bedeutung, zu deren Wahrheitsmodus Gerechtigkeit zählt; (3) Wissenschaft, Technologie, objektive Natur, deren Wahrheitsmodus die richtigen wissenschaftlichen Beweisführungen sind. Somit vereint die integrale Ökologie die Kunst der Ökologie, das Schöne (die Ästhetik der Natur); die Moral der Ökologie, das Gute (Umweltethik); und die Wissenschaft der Ökologie, das Wahre (ökologische Wissenschaft) auf verschiedenen Ebenen der Komplexität.
Die Differenzierung der Großen Drei in vielen Bereichen schuf den sozialen und kognitiven Raum, der für freie wissenschaftliche Forschung, neue Formen der Kunst, Marktwirtschaft und demokratische Politik notwendig war. Endlich konnte man das materielle Universum ohne kirchliche Beschränkungen untersuchen. In diesem differenzierten Welt-Raum konnte der oder die Einzelne seine oder ihre eigenen Ansichten entwickeln.
Leider hat die Moderne die Großen Drei, die sie differenzierte, nicht angemessen integriert. Die Annahme des Abstiegs befreite die Menschheit von religiöser Bevormundung und trug zu großer wissenschaftlicher, technologischer und ökonomischer Entwicklung bei. Aber der ausschließliche Glaube an die materielle Welt führte zu weiteren Konsequenzen, darunter auch der Verlust der kulturellen Bedeutung (intersubjektive Innerlichkeit), die sich zeigte, als die Menschheit nur noch durch die Perspektive des mechanistischen Materialismus gesehen wurde. Wilber beschreibt die Stimmung der Moderne als Ironie. „der bittere Nachgeschmack einer Welt, die nicht mehr die Wahrheit über die wesentliche Tiefe des Kósmos bezeugen kann …“. Die Absteiger verkörperten den Materialismus und verstärkten dadurch die objektiven und interobjektiven (3. Person Singular und Plural) Perspektiven – andere Perspektiven wurden vernachlässigt.
Weil die persönlich-künstlerischen und kulturell-moralischen Wahrheitsaussagen komplexer und umstrittener sind als diejenigen aus der empirischen wissenschaftlichen Forschung, und weil wissenschaftliches Wissen solche wichtigen (und notwendigen) materiellen Vorteile brachte, dominierten die wissenschaftlichen Methoden des Wissens (die Perspektiven der 3. Person) die anderen beiden Methoden. Die Naturwissenschaft konnte das Selbst, Innerlichkeit, Kultur und Moral nicht anerkennen und noch weniger untersuchen, denn sinnlich-empirische Forschung bezieht sich auf materielle Phänomene und nicht auf persönliche (subjektive) und kulturelle (intersubjektive) Phänomene.
Das moderne Verständnis der Natur
Natürlich hatten diese inneren Entwicklungen eine Auswirkung auf die Vorstellungen über die Natur. Die moderne Wissenschaft verstand die Natur als „vollkommen harmonisches und miteinander verbundenes System, ein großes Es-System, und das Wissen bestand darin, dieses Es-System in geduldiger Kleinarbeit empirisch zu kartografieren.“ Sie verstand den Kosmos als „das große ‚Netz des Lebens’, einen großen, ineinandergreifenden Bereich von Lebewesen, von denen ein jedes gleichzeitig mit allen anderen verbunden ist“, aber ihnen fehlte jede Innerlichkeit oder Intersubjektivität.
Das moderne, rationale Ego wollte die Natur entzaubern und vollkommene rationale Objektivität erreichen. Solange das Denken von Emotionen beeinflusst ist, solange die eigenen Bewertungen von persönlichen, familiären, ethnischen oder rassischen Faktoren beeinflusst sind, so lange, so argumentieren die Modernisten, ist man nicht vollkommen rational und hat nur eine unvollständige Erkenntnis. Man muss die Welt nicht nur aus einer Perspektive der 3. Person sehen, sondern man muss als Folge dessen zu einer Perspektive der 3. Person werden, man muss ein „Es“ werden. Anknüpfend an Kant versuchte das moderne Ego den Bereich der Unvollständigkeit und Körperlichkeit zu überwinden, um Universalität und Vollständigkeit zu erlangen. Kant muss man zugutehalten, dass er versuchte, den inneren Bereich vom äußeren körperlich-biologischen Bereich zu differenzieren, um Raum für all diese Bereiche zu machen. Andere Modernisten wurden zunehmend skeptischer in Bezug auf die Existenz der Innerlichkeit, die sie in die gleiche Kategorie wie andere verworfene Ideen, wie die Seele, steckten. Aber bei der Verteidigung einer ausschließlich materiellen Welt ergaben sich schwierige Probleme.
Zunächst einmal konnten die Modernisten nicht eingestehen, dass es einen anderen Bereich als den materiellen gab. Das Innerliche, einschließlich des Denkens und der moralischen Bewertung, hatte keine einfache materielle Lokalisation; deshalb konnte das Innerliche einfach nicht existieren. Aber wo war dann die Vernunft lokalisiert? Zudem schätzen Wissenschaftler ihre Rationalität und ihre Forschung – zu denen sie auf Grundlage strenger Methodologien der 3. Person gekommen sind – aber wir können mit ihren Methoden den Wert dieser Wahrheit nicht erforschen, denn der Wert ist kein materielles Forschungsobjekt. Der Wert, den ein Physiker seiner Forschung beimisst, kann nie zum Objekt seiner physikalischen Forschung werden. Die materialistische Wissenschaft mit ihrer Perspektive der dritten Person kann sich innerhalb ihrer eigenen Methodologie nicht rechtfertigen. Das mussten zu ihrem Schrecken die Positivisten feststellen, als sie erkannten, dass sie ihr eigenes Prinzip der Verifizierung (alle Wahrheitsaussagen müssen durch Erfahrung nachprüfbar sein) nicht verifizieren konnten.
Jede große wissenschaftliche Synthese stimuliert Anstrengungen, um die Gesamtheit der Wirklichkeit in ihren eigenen Begriffen zu sehen. … Aber die Sichtweisen der Wirklichkeit, die sich in dieser Weise bilden, sind selbst nicht wissenschaftlich und können auch nicht durch Wissenschaft verifiziert werden. Sie versuchen nicht nur die Dinge „da draußen“ zu erklären, die in Armlänge Abstand vom Beobachter [3. Person] gehalten werden, sondern auch die Tatsachen „hier drinnen“, wie unser Gewahrsein [1. Person] unseres eigenen Existenzaktes, unser Gefühl moralischer Verantwortung [2. Person], unsere Kommunion mit der Quelle des Seins. Tatsachen der letzteren Art liegen nah am Herzen der Wirklichkeit, aber sie können nicht wissenschaftlich formuliert werden. Versuche, sie wissenschaftlich zu erklären, enden damit, dass sie wegerklärt werden. Aber dann wird die Wissenschaft selbst unverständlich. (Greene, Debating Darwin)
Schließlich befand sich das Ego in einer Art transzendentaler Grauzone, die immer schwieriger aufrechtzuerhalten war, aufgrund der uneingeschränkten reduzierenden Prozesse des wissenschaftlichen Materialismus. Im 18. Jahrhundert wurden Anstrengungen unternommen, das Innerliche objektiv zu erklären. Zu dieser Zeit richtete die Rationalität des Egos ihren objektiven Blick auf sich selbst und behandelte das Innerliche und die Rationalität als eine besondere Form von Objekt. Wie Heidegger, Horckheimer, Adorno, Foucault und Habermas angemerkt haben, machten die objektivierende Rationalität und der Verstand das Ego zu einem Objekt, das dominieren konnte, genauso, wie sie die Natur zu einem Objekt reduziert hatte. Dadurch entstanden die „Humanwissenschaften“. Aber Foucault und andere postmoderne Denker (die später daran anknüpften) bezeichneten diese sogenannten Humanwissenschaften als „unmenschlichen Humanismus“. In dieser Sichtweise wurden Menschen nicht als „Subjekte der Kommunikation“, sondern als „Objekte der Information“ verstanden.
Nach Habermas´ Verständnis von Foucault:
Ein Blick, der objektiviert und untersucht, der Dinge analytisch zerlegt, der alles beobachtet und durchdringt, erhält eine Macht, die strukturell diesen [modernen] Institutionen innewohnt. Es ist der Blick des rationalen Subjekts, das alle nur intuitiven Verbindungen mit der Umwelt verloren hat und alle Brücken niedergerissen hat, die aus intersubjektiven [und dialogischen] Übereinkünften gebildet wurden, und für das in seiner monologischen Isolation andere Subjekte nur als die Objekte unbeteiligter Beobachtung [in der 3. Person] zugänglich sind. (Habermas, „The Critique of Reason as an Unmasking of the Human Sciences: Michel Foucault”)
Wilber stellt die Hypothese auf, dass das moderne Ego sich als Ausgleich für seine konzeptuelle Bedeutungslosigkeit in eine außergewöhnliche Beherrschung der Natur begibt. Um sich seiner eigenen Existenz zu vergewissern, unterwirft das Ego den materiellen Bereich (angeblich der einzige Bereich, der existiert). Martin Heidegger, Max Horckheimer und Theodor Adorno haben behauptet, dass das Streben des modernen Menschen nach der Beherrschung der Welt gezeigt hat, dass er ein Tier geworden war, das Macht und Sicherheit sucht. Eine andere Sichtweise dieser weltbeherrschenden Ausrichtung besteht darin, dass es, zumindest teilweise, der Versuch der Selbstbestätigung für diejenigen war, die ihr eigenes Innerliches und die interpersonelle Wirklichkeit erahnten aber dafür keine angemessenen persönlichen oder kulturellen Ausdrucksformen fanden.
Das zweite Problem bei der modernen Suche nach Überwindung der Unvollständigkeit und Körperlichkeit war, dass die begründete Differenzierung von Geist und Körper zu einer unbegründeten Dissoziation wurde:
Das rationale Ego wollte sich über die Natur und seine eigenen körperlichen Impulse erheben, um ein universelleres Mitgefühl zu erreichen, als das, welches hier in der Natur gefunden werden konnte, aber stattdessen wurden die natürlichen Impulse oft unterdrückt: Das rationale Ego unterdrückte seine eigene Biosphäre; seine eigenen Lebenssäfte; seine eigenen vitalen Wurzeln. Das Ego tendierte dazu, sowohl die äußere Natur als auch seine innere Natur zu unterdrücken. Und diese Unterdrückung stand ohne Zweifel mit dem Auftreten von Sigmund Freud in Verbindung, der sich genau zu dieser Zeit aufmachte (was bisher noch nicht geschehen war), die Dissoziationen der Moderne zu behandeln. (Wilber, Eine kurze Geschichte des Kosmos)
Wir denken, dass es notwendig ist, die verschiedenen Definitionen des Begriffs „Natur“ zu klären, bevor wir fortfahren. Für unsere Betrachtungen geben wir drei Definitionen, die wir als *NATUR* (NATURE), NATUR (Nature) und Natur (nature) bezeichnen. Zur *NATUR* gehört der gesamte Kósmos in all seinen Dimensionen, einschließlich des Inneren und Äußeren: das Große Nest des Seins. Die NATUR bezeichnet die äußeren Bereiche des Kósmos, die Bereiche, die von den Naturwissenschaften und einigen Sozialwissenschaften untersucht werden: das Große Netz des Lebens. Die Natur bezeichnet schließlich die empirisch-sinnliche Welt in zwei unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Bedeutungen: die äußere Welt, die durch die fünf Sinne (und ihrer Hilfsmittel) zugänglich ist, und die innere Welt, die durch Gefühle, emotional-sexuelle Impulse und somatische Erfahrungen, die sich vom rationalen Verstand und der Kultur abheben, wahrgenommen wird: die Große Biosphäre. Deshalb ist die Verbindung mit unseren prärationalen Gefühlen der Zugang zur natürlichen Welt ohne Kultur. Mit anderen Worten können wir uns besser mit unseren nicht-mentalen Aspekten verbinden (d. h., mit prärationalen Gefühlen und postrationalen spirituellen Erfahrungen – deshalb werden diese beiden auch oft verwechselt und die Natur wird dann mit der *NATUR* verwechselt), wenn wir Zeit in unberührter Natur (d. h., ohne Zeichen der menschlichen Kultur oder Gesellschaft) verbringen. Einer der Gründe, warum die NATUR und die Natur miteinander verwechselt werden, besteht darin, dass sie sich beide auf die empirisch-sinnliche Welt beziehen. Die NATUR enthält alle äußeren Dimensionen der natürlichen und kulturellen Welten, wohingegen die Natur das empirisch-sinnliche Gewahrsein enthält, das die nicht-kulturellen Ebenen der NATUR wahrnimmt. Jede dieser „Naturen“ hat seine Anhänger: Die Große Biosphäre wird von den prärationalen Umweltschützern verherrlicht, das große Netz des Lebens wird von den rationalen Materialisten erforscht und das Große Nest des Seins wird von den postrationalen Romantikern gefeiert. Zusammenfassend können wir sagen, dass die Natur die inneren und äußeren Aspekte der Biosphäre bezeichnet – d. h., körperliche Gefühle im Gegensatz zu mentalen Gedanken (OL), Objekte der sinnlichen Wahrnehmung im Gegensatz zu rationalen Konzepten (OR), natürliche Systeme im Gegensatz zu sozialen Systemen (UR) und physische Verbundenheit im Gegensatz zu kulturellen Beziehungen (UL). Die NATUR enthält alle äußeren Ebenen der Physiosphäre, Biosphäre und Noosphäre. Und die *NATUR* enthält alle innerlichen und äußeren Dimensionen aller Ebenen. Im Abb. 1.1. steht der erste konzentrische Kreis für die Physiosphäre, der zweite für die Biosphäre und der dritte für die Noosphäre und darüber hinaus ist die Pneumasphäre (Pneuma ist die griechische Bezeichnung für Geist, A. d. Ü.).
Abb. 1: Natur, NATUR, *NATUR*
Alle drei Formen der Natur – *NATUR*, NATUR und Natur – beziehen sich auf tatsächliche Dimensionen der Wirklichkeit, aber immer wieder entstehen Probleme, wenn diese drei Bereiche miteinander verwechselt werden. Wenn wir zum Beispiel einen steilen Pfad hinaufwandern und eine tief berührende intersubjektive Begegnung mit einem Berglöwen haben, die uns mit der Empfindsamkeit verbindet, die in der ganzen Manifestation anwesend ist, dann rufen wir vielleicht aus: „Wow, die Natur ist so wunderbar!“ Dabei meinen wir die *NATUR*: alles im Kósmos. Wenn wir auf dieser Wanderung zu einem Ausblick kommen und als Reaktion auf das, was wir sehen, ausrufen, „Ist die Natur nicht schön?“, dann meinen wir die NATUR: All die Oberflächen, die wir sehen können, die gesamte sensorisch-empirische Welt. Während dieser Wanderung drehen wir uns zu unserem Freund um und sagen: „Ich liebe das Wandern – dabei kann ich wirklich aus meinem Kopf herauskommen und in Berührung mit der Natur sein, und dabei fühle ich einen inneren Frieden.“ Damit meinen wir die Natur: die nicht-rationale Erfahrung außerhalb unserer gewohnten sozio-kulturellen Umgebung. Im weiteren Verlauf des Buches werden wir also jedes Mal, wenn wir den Begriff „Natur“ benutzen, durch die Schreibweise oder den Kontext genauer bestimmen, über welche Form der Natur wir sprechen.
Eine andere Möglichkeit, die Beziehung zwischen diesen drei Naturen zu beschreiben, findet sich in Abbildung 1.2. Darin zeigt sich, wie diese drei Formen integriert waren, bevor die Verfechter des rationalen „Ego-Lagers“ und die Anhänger des empirischen „Öko-Lagers“ die *NATUR* zur NATUR und zur Natur reduziert haben. Das Ego-Lager verabsolutierte die Noosphäre und das Öko-Lager verabsolutierte die Biosphäre.
Die Moderne neigt dazu, die inneren Dimensionen der Wirklichkeit zu vernachlässigen und die äußeren Dimensionen oder die materiellen Systeme hervorzuheben. Deshalb reduzierte der wissenschaftliche Materialismus die *NATUR* zur NATUR, und der Geist wurde auf das Gehirn reduziert, das selbst Teil eines Organismus ist, der selbst wiederum Teil der Biosphäre ist. Nach diesem Verständnis war der Geist (die Noosphäre) nichts weiter als ein Teil der Biosphäre, wo doch in Wirklichkeit der Körper (OL) im Geist (OL) ist und das Gehirn (UR) im Körper (UR). Mit Bezug auf das Innere ist in gleicher Weise die Biosphäre in der Noosphäre und gleichzeitig ist mit Bezug auf das Äußere die Noosphäre in der Biosphäre. Oder wie es Wilber ausdrückt, „die Natur ist im Geist, aber das Gehirn ist in der NATUR.“ Diese komplexe Beziehung zwischen der Biosphäre und der Noosphäre wird allzu oft auf die letztere äußerliche Perspektive reduziert. „Wenn das Innere vollkommen auf das Äußere reduziert wird, können wir nicht mehr die Abstufungen der inneren Tiefe erkennen, und so wird alles gleichermaßen zu einem Faden des großen ineinandergreifenden Netzes der Es-Wirklichkeiten ohne Wertunterschiede. Alles ist Teil der NATUR …“ Für die Moderne war der Status des erkennenden, egoischen Subjektes immer unsicher, weil es immer schwierig war, unbestreitbare subjektive Erfahrungen (der 1. Person) in nur objektiven Begriffen (der 3. Person) zu beschreiben. Wie wir im 2. Kapitel noch weiter ausführen werden, sieht die integrale Ökologie im Gegensatz dazu die Physiosphäre (den Bereich der Materie), die Biosphäre (den Bereich des Lebens), die Noosphäre (den Bereich des Geistes) und eine mögliche Pneumasphäre (den Bereich des GEISTES*) als vier Ebenen der NATUR. Deshalb transzendiert nichts die NATUR, aber es gibt Dinge innerhalb der NATUR. Selbst die Pneumasphäre ist nicht jenseits der NATUR, sondern ein Aspekt davon. Mit anderen Worten sind innere Phänomene (Emotionen, Gedanken, spirituelle Erfahrungen) nicht jenseits der NATUR, sondern in ihr (d. h., *NATUR*). Die integrale Ökologie integriert die monologische Natur in die dialogische Kultur und bringt beide in den translogischen GEIST: Natur in die NATUR in die *NATUR*.
* „GEIST“ steht hier für spirit, die absolute Wirklichkeit, den „transzendenten Geist“, „Geist“ für mind, die Gesamtheit der mentalen Fähigkeiten. (A. d. Ü.)
Viele Umweltschützer verlassen sich heutzutage nur auf objektive, wissenschaftliche Zugangsweisen (der 3. Person) zur Natur (Lebensraum und Organismen). Dieser Zugang ist in sich wertvoll, bietet aber keinen Einblick in das Innere der natürlichen Phänomene und noch weniger in das Innere des Menschen. Dieses Innere hat keinen „Ort“ in einer Welt, die nur aus materiellen Teilchen und komplexen Systemen besteht. Diese Auffassung verstärkt das, was Wilber als industrielle Ontologie bezeichnet: „Die Industrialisierung untermauert das Flachland, die die objektive Welt der einfachen Lokalisation als die vorrangige Wirklichkeit sieht, die das Innerliche kolonialisiert und beherrscht und sie auf instrumentelle Fäden im großen Netz beobachtbarer Oberflächen reduziert. Das ‚Allein die Natur ist wirklich’ ist Stimme des industriellen Rasters.“
Nach Ansicht von Wilber ist „Die Religion von Gaia, die Verehrung der Natur einfach nur eine der vielen Formen der industriellen Religion, der industriellen Spiritualität und sie durchdringt das industrielle Paradigma.“ Sie verehrt nur Objekte da draußen und ignoriert die Subjektivität hier drinnen. Wilber nennt es Flachland, eine Welt von Objekten und Oberflächen.
Die romantische Antwort: Ein neuer Reduktionismus
Die Romantiker wendeten sich gegen das Naturverständnis der Moderne, aber ihre Reaktion war missverständlich. Die romantische Reaktion auf den Materialismus der rationalen Moderne und gegen die Unterdrückung (der Innerlichkeit), die daraus entstand, war gerechtfertigt, denn etwas Wichtiges wurde ausgelassen. Aber die Antwort der Romantiker auf die Moderne ging in die Irre, weil ihre Versuche sich auf zwei verschiedene Konzepte der „Natur“ beriefen.
Abb. 2: Ego und Öko vor der Katastrophe
Das erste Konzept war, wie wir schon besprochen haben, die moderne Sichtweise, dass die NATUR das allumfassende, miteinander verbundene Netz des Lebens ist. Nach Ansicht der Romantiker hatte die Moderne die Verbundenheit mit der Biosphäre verloren (trotz der modernen Behauptung, dass alles im Netz des Lebens enthalten ist und darin fließt). Weil die Romantiker davon überzeugt waren, dass die Kultur sich von der natürlichen Welt getrennt oder abgespalten hat, mussten sie ein zweites Konzept der „Natur“ einführen, von der sich die Menschheit abtrennen konnte. Wilber fragt: „Was ist die Beziehung zwischen dieser [*NATUR*], die alles umfasst, und der Natur, die sich von der Kultur unterscheidet, weil sie von der Kultur zerstört wird?“ Die Romantik scheiterte, weil sie diese beiden gegensätzlichen Sichtweisen der „Natur“ nicht versöhnen konnte. Große Romantiker versuchten, diesen Konflikt zu lösen, indem sie behaupteten, dass die Natur der GEIST (*NATUR*) wäre, weil der allumfassende GEIST in der Tat sowohl Kultur als auch Natur transzendiert und einschließt.“ Die meisten Romantiker hatten sich aber so sehr dem Weg des Abstiegs verschrieben, dass „sie einfach die [*NATUR*] mit der Natur gleichgesetzt haben. Sie setzten den GEIST mit der sinnlichen Natur gleich. Und dann ging alles in die Luft, eine spektakuläre, narzisstische, egozentrische, farbenprächtige Explosion – denn je näher wir der Natur kommen, desto egozentrischer werden wir. Auf der Suche nach der *NATUR* gingen die Romantiker zurück zur Natur und verschwanden im schwarzen Loch ihrer eigenen Selbstbezogenheit, während sie behaupteten, für das letztendlich GÖTTLICHE zu sprechen – göttlicher Egoismus, wie sich leider zeigen sollte.“
Romantisches ökologisches Denken: Zurück zu welcher Natur?
Gegen die dissoziierte und entfremdete Rationalität, die die *NATUR* zerreißt und die menschliche Innerlichkeit unterdrückt (eine schiefgelaufene Moderne), entstanden Umweltschutzbewegungen, die von romantischem Denken beeinflusst waren. Die romantische Bewegung war und ist oft regressiv – Missverständnisse häufen sich auf Missverständnisse. Statt die Natur als desinteressierte Wissenschaftler zu untersuchen, versuchten die Romantiker – einschließlich des großen deutschen Idealisten Schelling – die *NATUR* auszudrücken und daran teilzuhaben. Aber zu oft fokussierten sich diese Romantiker auf ihre Gefühle der Ehrfurcht und des Staunens, die von ihren Begegnungen mit dem materiellen Aspekt der erhabenen Schönheit und Kraft der Natur inspiriert wurden. Die Romantiker feierten fälschlicherweise etwas, das sich als egozentrische Gefühle und Haltungen herausstellte, die sich nicht mit entsprechender Reife verbanden, sondern eher regressive Zustände kindlicher Gefühle wiederbelebten – und so vollendeten sie das Abrutschen in die Natur. Wie Wilber es treffend ausdrückt:
In ihren besten Momenten suchen die Öko-Romantiker nach einer Vereinigung mit der *NATUR*, eine Vereinigung mit dem Kósmos. … Aber aus all den Gründen, wie wir untersucht haben, drifteten die Öko-Lager in die Gleichsetzung der *NATUR* mit dem großen Netz des Lebens ab, mit der ganzen sinnlich-empirischen Welt in all ihrer organischen Fülle und Vitalität. Unter der starken Gravitationskraft des Flachlands reduzierten sie die *NATUR* zu NATUR. Und der NATUR versprechen sie ewige Treue [und von dort aus der Natur].
Die Romantiker verschmolzen in der materiellen Welt der sinnlichen Natur (in Abgrenzung gegen Verstand und Kultur). Mit der richtigen Intuition, dass die *NATUR* nur durch ein Gewahrsein erkannt werden kann, dass die Begrenzungen des rationalen Egos transzendiert, verwechselten die Öko-Romantiker meist das echte transrationale Gewahrsein – ein Gewahrsein, das egoische Rationalität transzendiert aber gleichzeitig einschließt – mit nichtrationalen Modi des Gewahrseins, einschließlich prärationaler Zustände des Gewahrseins. In dieser Art und Weise sind viele Öko-Romantiker bis heute dem gefolgt, was Wilber als die Prä/Trans-Verwechslung bezeichnet. Weil sie die *NATUR* mit der Natur gleichsetzten und post-egoisches mit prärationalem Gewahrsein verwechselten, sehnten sich die Öko-Romantiker immer wieder „zurück zur Natur“, wobei die Natur hier das Große Netz des Lebens ist. Und die Natur beinhaltet auch die Gefühle der Einheit, die Teil dieses Netzes sind. Sie wollen eins sein mit der Biosphäre (Natur), nicht nur eins mit dem Äußeren der Biosphäre und Noosphäre (NATUR). Obwohl das Äußere der Biosphäre (z. B. Berge und Flüsse) gut sind, betrachteten sie das Äußere der Noosphäre (z. B. Eisenbahnen und Wolkenkratzer) als schlecht. Globalisierung, Klimawandel und von Menschen verursachtes Aussterben von Tieren sind auch Teil der NATUR, aber sie sind nicht Teil der Natur. Die Öko-Romantiker lehnen die oberen Ebenen der NATUR ab, weil sie von der Noosphäre hervorgebracht werden. Stattdessen fokussieren sie sich auf die reineren Aspekte der NATUR – ihre unteren, nicht-kulturellen Ebenen im Äußeren (und auch das Innere, das mit der Natur assoziiert wurde) – und setzen das mit der *NATUR* gleich. Aber wenn wir zurück zur Natur gehen, können wir uns nicht nach vorn der *NATUR* zuwenden, die die Rationalität transzendiert und einschließt und nicht in ein prärationales Gewahrsein regrediert. „Die Romantiker wendeten sich im Allgemeinen der NATUR zu, aber im Besonderen der Natur. Ihr Ziel war die *NATUR* nicht die NATUR aber schließlich glorifizierten sie die Natur. Im Versuch die entfremdende Dissoziation zu überwinden, gelangten zu einer einengenden, verschmolzenen, verwobenen Identifikation mit der Natur, die keinen Raum mehr für das ließ, was den Menschen (und die Noosphäre) von der Biosphäre unterscheidet. Dabei sollten wir aber daran denken, dass sowohl die Noosphäre als auch die Biosphäre in all ihrer Unterschiedlichkeit Aspekte der NATUR sind.“
Ein Aspekt, der die Unterscheidung von NATUR und Natur so schwierig macht, besteht darin, dass sie sich ein wenig überlappen: die ganze Natur ist in der Noosphäre, aber nur das Äußere der Noosphäre ist in der NATUR. Mit anderen Worten, die Aspekte der Biosphäre (Natur) in den rechten Quadranten sind die ersten beiden Ebenen der NATUR. Einige Aspekte der Noosphäre sind also in der NATUR aber nicht in der Natur. Deshalb können zwei New Yorker in einem Café sitzen und darüber sprechen, wie sehr sie „die Natur“ im Central Park lieben. Dabei kann der Eine die Natur meinen (z. B. dass der Park eine Flucht aus der Stadt ermöglicht: eine Oase, umgeben von einer Betonwüste) und der Zweite kann die NATUR meinen (z. B. dass der berühmte Park fast ausschließlich von Menschen gestaltet wurde und einen wunderbaren Anblick bietet, in dem Bäume und Wolkenkratzer, Parkbänke und Läufer mit iPods, Wildblumen und Skulpturen eine Einheit bilden).
Das rational-egoische (moderne) Lager begegnete der NATUR mit dem Verstand, das öko-romantische Lager begegnete ihr mit prä-konventionellen Gefühlen. Für die Romantiker bestand die Natur aus ihren emotionalen Reaktionen auf das, was wir heute Biosphäre nennen. Wie kraftvoll diese emotionale Resonanz auch sein mag, sie lassen die Aspekte der NATUR aus, die durch die Noosphäre erkennbar sind, die auch die menschliche Kognition umfasst. Mit Bezug auf die Arbeit von Charles Taylor argumentiert Wilber, dass die Öko-Romantiker und die Modernisten beide die Tatsache leugnen, dass die NATUR/Natur eine Manifestation des GEISTES ist. Stattdessen behaupten sie, dass der GEIST mit dem Großen Netz des Lebens identisch ist. Das ist eine materialistische Sichtweise. In dieser Sichtweise besteht die Übereinstimmung mit dem Netz des Lebens nicht im Erreichen der höheren Bewusstseinsstufen, die von den schamanischen und kontemplativen Traditionen beschrieben werden, sondern durch die Regression und Reduzierung der großen *NATUR* auf die persönlichen Gefühle. Die romantische Phase, in der die NATUR/Natur wegen der Gefühle, die sie in mir hervorruft, gepriesen wird geht, wie Taylor bemerkt, „dem Triumph der neuen Identität des beobachtenden Verstandes über die prämoderne Identität des Eingebettetseins in einen ontologischen Logos [einer miteinander verbundenen Weltordnung] voraus“.
Die Gefahr dabei ist, dass die Regression zu prärationalen Zuständen oder prä-konventionellen Stufen die Romantiker dazu veranlasst, die wichtigen und legitimen Errungenschaften des rational-egoischen Selbst und die damit verbundenen Formen der modernen Institutionen, einschließlich der konstitutionellen Demokratie, abzulehnen. Aber all diese Institutionen müssen bestehen, damit wir uns zu post-egoischen Stufen des Bewusstseins und den damit verbundenen Institutionen entwickeln können. Obwohl viele Romantiker des frühen 19. Jahrhunderts sich der Gefahren der Regression bewusst waren und den weitverbreiteten demokratischen Impuls feierten, tendierten viele Romantiker dazu, in einen „göttlichen Egoismus“ abzugleiten, der hervorhob und verehrte, was besonders und einzigartig für mich selbst ist. Aber dadurch wird die Natur zur Quelle einer egoistischen Haltung. Mir anderen Worten, zu leicht wir die Romantik zu einer Form des Narzissmus, in der die „Natur“ mit prä-rationalen emotionalen Zuständen gleichgesetzt wird.
Wenn Wilber recht hat, dann sind die „Zurück zur Natur“-Fantasien eine Wiederholung dieser fehlgeschlagenen romantischen Versuche, die Trennung zwischen Mensch und Natur zu überwinden: „Anstatt sich in der Evolution nach vorn zur Emergenz von [*NATUR*] oder GEIST (oder Weltseele) zu bewegen, die wirklich die Trennung von Geist und Natur vereinen würde, empfehlen sie ein ‚Zurück zur Natur’.“ Solch eine Sichtweise bereitet den Boden für psychologische und gesellschaftliche Regression. Wenn die Biosphäre die „grundlegende Wirklichkeit“ ist, dann wird sie von dem, was von der Natur abweicht, bedroht. Wenn die Natur „das letztendlich Wirkliche ist, dann wird die Kultur zum ursprünglichen Verbrechen.“ Dann aber muss das Ziel darin bestehen, die Kultur zu dekonstruieren, um ein verlorenes Paradies wiederzuerlangen, in dem eine unbewusste Einheit mit der unberührten Natur erreicht wird. Das ist die Heilung von Repression durch Regression, wie es einige Aktivisten von Earth First! mit ihrem Aufruf, zum Zeitalter des Pleistozän zurückzukehren, gefordert haben. Diese Sehnsucht nach einer ursprünglichen Einheit mit der göttlichen Natur ist anziehend, hat aber individuell und kulturell potenziell desaströse Folgen. Zudem wird diese Regression die ökologische Zerstörung nicht aufhalten. Nur eine tief greifende Veränderung in den sozioökonomischen und politischen Institutionen wird der ökologischen Zerstörung entgegenwirken, und diese Veränderung setzt das Wachstum eines „gemeinsamen Verstehens und gemeinsamer Übereinkünfte voraus, die auf einer weltzentrischen moralischen Perspektive auf das globale Gemeingut basieren“. Solch eine Veränderung setzt inneres Wachstum und innere Entwicklung voraus. Um der ökologischen Zerstörung zu entgehen, muss eine wirklich postmoderne Menschheit ihre Angst vor authentischer psychologischer Entwicklung und Innerlichkeit überwinden, denn nur diese Entwicklung kann das, was die Moderne dissoziiert hat, wieder integrieren.
Obwohl wir schon erklärt haben, dass das Innerliche nicht außerhalb der *NATUR* ist, sondern stattdessen in ihr ist, gibt es in der Ökologie und der Umweltbewegung eine lange Geschichte der Leugnung von Innerlichkeit und der Entwicklung von Innerlichkeit (d. h., Transzendenz). Die meisten Umweltschützer lehnen es ab, über Transzendenz und den GEIST zu sprechen, weil sie im Herzen Moderne sind – sie stimmen damit überein, dass alles Sein ein materielles Sein ist. Und weil Transzendenz eine einzigartige menschliche Fähigkeit zu sein scheint, haben Umweltschützer Angst davor, dass sie, wenn sie die Transzendenz anerkennen, den Anthropozentrismus bestärken werden, der die schonungslose Zerstörung natürlicher Phänomene rechtfertigt. Aber echte Transzendenz ist nicht anthropozentrisch – Tiere haben ein Innerliches, dass sich entwickelt und komplexer wird – und es ist auch nicht außerweltlich, denn das Innerliche ist innerhalb der *NATUR*. Ein integraler Ansatz wird immer den Aufstieg mit dem Abstieg verbinden.
Die Entstehung des Perspektivismus (Postmodernismus): Das Innerliche kommt langsam zurück
Ein Jahrhundert, nachdem Friedrich Nietzsche Wahrheit, Perspektiven und Macht miteinander verband, argumentierten postmoderne Theoretiker wie Michel Foucault, dass jede Wahrheitsaussage (vermutlich auch seine eigene!) von Machtinteressen beeinflusst ist, die oft denen, die diese Aussage machen, unbewusst oder verborgen sind. Der politische Perspektivismus entstand nach 1945 in den USA, Europa und den Kolonialstaaten als Sozialkritiker zeigten, dass die etablierten Eliten Wahrheitsaussagen nicht als bestimmte Perspektiven, sondern objektive Tatsachen verkündeten. Die Kritiker zeigten, dass diese „Tatsachen“ oft dazu verwendet wurden, zerstörerisches Verhalten und die Unterdrückung von Menschen mit weniger Macht zu legitimieren. Die ökonomisch und politisch Mächtigen verübten so zerstörerische Handlungen und rechtfertigten sie immer wieder mit Berufung auf wissenschaftliche und technologische Experten. In den 1960er und 1970er Jahren forderten Vertreter unterdrückter Bevölkerungsgruppen und Minderheiten mehr Macht und hinterfragten diese „Tatsachen“. Organisierte Minderheiten forderten öffentlich das repräsentative Paradigma heraus. Das brachte die Idee in den Vordergrund, dass es nicht den Einen Richtigen Weg oder die Eine Richtige Perspektive gibt, sondern dass wir eine ganze Reihe von Perspektiven brauchen, um in komplexen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Der Perspektivismus half dabei, die Bedeutung der inneren Bereiche der Wirklichkeit (besonders der intersubjektiven Bereiche) wiederzubeleben. Er ging davon aus, dass die Untersuchung unweigerlich von zahllosen Faktoren beeinflusst ist, einschließlich der Annahmen, derer sich der Untersuchende nicht bewusst ist. Aber die extremen Postmodernisten gingen mit ihren antihierarchischen Ansichten zu weit, nach denen die Sichtweise jedes Einzelnen genauso gut ist wie jedes anderen. Wir gehen davon aus, dass einige Sichtweisen besser sind als andere (weil sie umfassender, einschließender und weitsichtiger sind). Und obwohl wir die Beiträge des Multikulturalismus als einen wichtigen Ausdruck des Perspektivismus befürworten, teilen wir nicht dessen tiefes Misstrauen gegenüber allen Formen der Hierarchie, des Universalismus, der kulturübergreifenden Normen, Entwicklungskonzepte und der Moderne im Allgemeinen. Machtinteressen beeinflussen oft die Wahrheit, aber die Wahrheit kann nicht allein auf diese Interessen reduziert werden.
Perspektivismus in der ökologischen Wissenschaft
Führende ökologische Wissenschaftler wurden direkt oder indirekt vom postmodernen Perspektivismus beeinflusst, der zumindest zwei Hauptströmungen hat: die epistemologische und die politische. Der Perspektivismus ist eine epistemologische Herausforderung für das repräsentative Paradigma. Das repräsentative Paradigma glaubt, dass der neutrale, rationale Verstand fähig ist, die Dinge in Einer Richtigen Weise zu spiegeln oder zu repräsentieren (Sind sie jemals einem neutralen Verstand begegnet?). Die Naturwissenschaft präsentierte einst ihre Methode als den beispielhaften und gar als den einzigen Weg, um die Eine Richtige Wahrheit zu erkennen. Ganz sicher haben die Zeiten sich geändert. Wie der Ökologe Stanley Dodson bemerkt: „Welche Perspektive auch zu ihrer Betrachtung herangezogen wird, die Ökologie wird oft als etwas betrachtet, das ‚da draußen’ existiert. Obwohl es zutrifft, dass Dinge wie Vögel und Bienen und Bäume und Berge existieren, existiert die Ökologie nur in unserer Sprache. Ökologie ist eine Interpretation unserer Wahrnehmung von Organismen und der Umwelt. Wie bei jeder Interpretation hängt auch die Ökologie völlig von der Geschichte und der Kultur der Menschen ab, die diese Interpretation formulieren.“
Wir können viele Perspektiven einnehmen. Die Tatsache des Wählens einer Perspektive und die Anwendung ihrer Methode helfen in Wirklichkeit dabei, das untersuchte Phänomen hervorzubringen. Viele zeitgenössische Ökologen erkennen ausdrücklich an, dass die Phänomene, die sie untersuchen, in ihnen entstehen und teilweise von dem Rahmen, den sie ihnen geben, konstruiert (begrenzt, definiert) werden.
Perspektivisten sind der Ansicht, dass der Geist nicht nur ein Spiegel ist, der passiv getrennte Phänomene spiegelt, sondern eine aktive Rolle in der Ko-Konstruktion der Phänomene spielt. Methodologien machen Phänomene nicht nur erkennbar, sie konstituieren die untersuchten Phänomene auch. Mit anderen Worten ist das, was wir als „Tatsache“ bezeichnen, nicht schon als abgeschlossenes und fertiges Ding anwesend, sondern entsteht in einem komplexen Prozess der Untersuchung unter Verwendung von Wahrnehmung, Emotion und Kognition zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. Nach Ansicht des Perspektivismus wird jede Annahme von einem Menschen formuliert, der eine bestimmte Sichtweise in einer kulturellen Weltumgebung einnimmt. In der Tat geht die integrale Theorie davon aus, dass das Bewusstsein im Fleisch verkörpert, in der Kultur eingebettet und in ökologisch-soziale Systeme eingewoben ist. Annahmen in Bezug auf Umweltprobleme werden von Menschen formuliert und interpretiert, die verschiedenen Perspektiven sehen und unterschiedlichen Interessen folgen.
Ein Umweltproblem entsteht als solches („Schwermetalle im Thunfisch“ oder „Verlust von Lebensraum“) in einem gemeinsamen Welt-Raum, in bestimmten sozialen Strukturen und wird durch linguistische Unterscheidungen artikuliert. Worte sind nicht realer als Dinge; aber viele Dinge können nur durch Sprache entstehen. Deshalb wird eine „Störung“ in einem komplexen System von den Wissenschaftlern als solche benannt. Diese Wissenschaftler wiederum arbeiten vor dem Hintergrund einer Hypothese, die von einer größeren theoretischen Perspektive beeinflusst wird.
Einige Ökologen beschreiben die Phänomene, die sie untersuchen, ausdrücklich nicht als schon existierende Dinge-an-sich, sondern als Phänomene, die zum Teil aus dem Akt der „Kontextualisierung“ selbst entstehen. Nach Ansicht von Vertretern der Hierarchie-Theorie ist selbst das, was etwas zu einer Entität macht, teilweise davon abhängig, wo Forscher dieses Phänomen in einem bestimmten hierarchischen Rahmen positionieren und wie sie es in Bezug auf Zeit und Raum beschreiben. Deshalb stimmen viele wissenschaftliche Ökologen damit überein, dass jedes Phänomen – seien es nun Objekte der wissenschaftlichen Untersuchung oder die Inhalte mystischer Zustände – innerhalb eines gemeinsamen linguistisch-kulturellen Welt-Raums entsteht und darin interpretiert wird. Phänomene werden von jemandem wahrgenommen oder erfahren, der eine bestimmte Perspektive einnimmt und eine bestimmte Methodologie anwendet.
Einige Forscher haben versucht, diese Ansätze zu ordnen (z. B. Allen und Hoekstra), aber ein Hindernis bei der Vereinigung der Ökologie als einem Zweig der Naturwissenschaft waren weitverbreitete Meinungsverschiedenheiten über die Prinzipien oder Grundlagen (was für eine Überraschung). Es mag schockierend sein, dass es keine einheitliche Denkrichtung, Methode oder Perspektive gibt, die wir „Ökologie“ nennen können. Stattdessen gibt es eine überwältigende Anzahl von Perspektiven, Konzepten, Fragen und Techniken. Um dieses Durcheinander zu ordnen, schlug Stanley Dodson vor, die ökologische Wissenschaft nach drei großen Perspektiven zu ordnen, die von Forschern verwendet werden. Aber er beschränkt den Begriff „Ökologie“ auf die naturwissenschaftlichen (objektiven und intersubjektiven) Methodologien (eine Perspektive der 3. Person). Als Ergebnis dieser Einschränkung kommt Dodson zu dem Schluss, dass es nur sechs große Schulen der Ökologie gäbe.
Aber heute gibt es tatsächlich über 100 ökologische Richtungen, ganz zu schweigen von den vielen Ansätzen der Umweltstudien und den Schulen ökologischen Denkens, und diese Zahl steigt ständig (s. 5. Kapitel). Viele dieser Schulen sind nicht in den Naturwissenschaften beheimatet, sondern in den Sozial- und Geisteswissenschaften, in den Künsten oder anderen Bereichen. Die Welt der Ökologie ist so groß geworden, dass sie sich nicht mehr selbst kennt: Vertreter der Landschaftsökologie haben noch nie von der ökologischen Phänomenologie gehört; Umweltphilosophen kennen oft nicht den Unterschied zwischen Populationsökologie und Gemeinschaftsökologie; Menschen, die im Bereich der akustischen Ökologie arbeiten, wissen nichts über die ökologische Hermeneutik. Es ist ein großer Vorteil der integralen Ökologie, dass sie ein umfassendes meta-theoretisches Bezugssystem für die Klassifizierung und Ordnung dieser vielen verschiedenen Perspektiven bietet.
Der ökologische Perspektivismus macht langsam Raum für das Innere
Der Perspektivismus war ein wichtiger Anstoß für das Entstehen von inter- und multidisziplinären Ansätzen der Wissensfindung und der Problemlösung in der neuen ökologischen Wissenschaft. Der ökologische Perspektivismus hat aber nur langsam innere Bereiche berücksichtigt, einschließlich derjenigen, die mit Werten und Kultur verbunden sind. Schauen wir dazu eine Passage aus dem Text „Ecological Science and Sustainability for a Crowded Planet” (ECCCP) an, der im Jahre 2004 von der Ecological Society of America herausgegeben wurde:
Ökologie ist ihrer Natur nach eine interdisziplinäre Wissenschaft, was es unmöglich macht, dass ein Ökologe die Details jeder relevanten Disziplin, Methode oder die entsprechenden Instrumentarien kennen kann. Aber es wird immer klarer, dass die Ökologen zusammenkommen müssen, um die Umweltprobleme in unserer Welt zu verstehen, zu lösen und vorherzusehen. Um das zu tun, müssen sich Ökologen als Unternehmer auf einem sich verändernden und unter Druck stehenden Marktplatz verstehen, auf dem Kooperationen und schnelle Reaktionen die Schlüssel zum wissenschaftlichen Erfolg sind. Unsere größte Chance, bei diesem Vorhaben erfolgreich zu sein, ist ein breit einschließender Ansatz in der ökologischen Forschung. Dieser Ansatz muss auch beinhalten, dass wir aktiv die Expertise jenseits unserer eigenen Disziplin suchen. Zudem müssen wir unsere Kultur verändern, um die Innovationen, die wir brauchen, zu fördern. …
Wenn wir diese Tiefe und Breite des ökologischen Verständnisses erfolgreich anwenden, einschließlich einer besseren Kommunikation jenseits der Disziplinen, könnten Ökologen eine wichtige und sehr hilfreiche Rolle bei Entscheidungen spielen, die auf allen Ebenen getroffen werden und die die Nachhaltigkeit der Biosphäre beeinflussen.
Obwohl die Titelseite dieses Dokuments eine Zeichnung des Planeten Erde mit drei Überschriften zeigt, „Vorausschauende Forschung, Informierte Entscheidungen, Kulturelle Veränderung“, schreibt das ESSCP der Kultur und den Werten (den inneren Perspektiven) eine unwesentliche Rolle zu. Der Text versucht nur eine größere Zusammenarbeit mit anderen Naturwissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern, Unternehmern und Regierungsmitgliedern zu fördern. In unserer Wortsuche fanden wir keine Ergebnisse für die Wörter „Normen“, moralische Entwicklung“, „das Innere“, „Bewusstsein“ oder „Subjektivität“. Ethik wurde nur einmal genannt, in Verbindung mit Regeln zum Gebrauch von Daten, die von anderen Forschern ermittelt wurden. Der Begriff „Werte“ taucht in einem Absatz auf, der die Wissenschaftler dazu auffordert, „rigoroses ökologisches Wissen“ an religiöse Gruppen heranzutragen, „die auf die neuen Umweltprobleme mit der Verbindung von Werten mit einem Ethos der ökologischen Verantwortung reagiert haben“.
Um die wichtige Vision der Nachhaltigkeit des ESSCP zu verwirklichen, müssen sich die Wissenschaftler den persönlichen und kulturellen Innendimensionen zuwenden – einschließlich Werten, Weltsichten und religiösen Glaubenssätzen –, weil sie alle eine Rolle bei der Entstehung und Lösung von Umweltproblemen spielen. Joseph Tainter, Timothy Allen und Thomas Hoekstra bezeichnen das als post-normale Wissenschaft: „In der der post-normalen Wissenschaft … sind die Daten unzureichend, die Zeit ist kurz, und weil die Anforderungen hoch sind, gibt es ein großes öffentliches Interesse und miteinander im Konflikt stehende Werte. Die Erkenntnisse der post-normalen Wissenschaft sind in ein größeres soziales Bezugssystem eingebettet, in dem das Publikum aus miteinander konkurrierenden Interessengruppen besteht. Die post-normale Wissenschaft vertritt einen Ansatz, bei dem die Tatsache, dass mehr Beteiligte mehr Wissen einbringen können, wichtiger ist, als eine einzige stimmige Lösung.“ Post-normale ökologische Wissenschaft „mit ihrem Fokus auf die unterschiedlichen Interessengruppen und Berücksichtigung verschiedener Sichtweisen“ hat viele Gemeinsamkeiten mit der Absicht der integralen Ökologie, die Erkenntnisse aus den Bereichen des Bewusstseins, der Kultur und der Natur miteinander zu integrieren. Andere Ansätze beschäftigen sich auch mit der Integration der inneren Bereiche.
Lance H. Gunderson und C. S. Holling gingen noch einen weiteren Schritt zur Integration dieser drei Bereiche in ihrem Buch Panarchy: Understanding Transformations in Human and Natural Systems. Panarchy schöpft aus dem umfassenden konzeptuellen Modell der Resilienz in komplexen adaptiven Systemen, um zu zeigen, dass die Natur- und Sozialwissenschaften kooperieren können und müssen, um auf die Umweltprobleme zu reagieren. In einem Essay aus Panarchy argumentieren Frances Wesley et al., dass ein mangelhaftes Verständnis des Unterschieds zwischen ökologischen und sozialen Systemen „zu erklären hilft, warum es im Umgang mit natürlichen Ressourcen solch einen grundlegenden Mangel an Reaktionsfähigkeit oder Anpassungsfähigkeit in Bezug auf Signale aus der Umwelt gibt“. Während Raum und Zeit grundlegende Kategorien sind, um ökologisch-systemische Strukturen und Muster zu verstehen, „müssen wir für die sozialen Systeme eine dritte Dimension berücksichtigen: die symbolische Bildung von Bedeutung“.
In einem anderen Essay aus Panarchy, „A Future of Surprises“, diskutiert Marco J. Jannsen die Verbindung zwischen kulturellen Bereichen, soziologisch-ökonomischen Systemen und ökologischen Systemen und beschreibt ein Entwicklungsmodell der Kultur (als Weltsichten), das in vielem mit dem Ansatz der innerlichen Entwicklung der integralen Ökologie übereinstimmt. Nach Ansicht sind die verbreitetsten Weltsichten in den USA der Hierarchismus (oder Konservatismus), der von den Menschen gelebt wird, die sich an Autoritäten halten, um Umweltprobleme zu bestimmen und zu lösen; der Individualismus, der von denjenigen unterstützt wird, die auf die Macht der unbeschränkten Märkte vertrauen, um diese Probleme zu lösen; und der Egalitarismus, der von den Menschen (auch den Grünen) praktiziert wird, die behaupten, dass Umweltprobleme vor allem gelöst werden können, wenn die Ungerechtigkeit vermindert wird. Hierarchismus, Individualismus und Egalitarismus gleichen in vielen Belangen den traditionellen, modernen und postmodernen Entwicklungsperspektiven, die wir im 4. und 7. Kapitel noch näher beschreiben werden.
Diese drei Weltsichten – traditionell, modern und postmodern – manifestieren sich alle in den innerlichen Bereichen der Kultur. Weil viele Umweltschützer die Unterschiede zwischen diesen Weltsichten nicht verstehen, können sie unserer Ansicht nach die Vertreter dieser Weltsichten nicht rhetorisch geschickt ansprechen. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Umweltschützer heute meist als eine Interessengruppe gesehen werden, wobei in Wahrheit für eine große Anzahl von Menschen in allen drei Weltsichten ökologische Werte wichtig sind. Sicher haben Aktivisten der Umweltbewegung keinen Erfolg, wenn sie so mit Menschen sprechen, die eine andere Weltsicht haben, als wären sie dumm, schlecht oder im Unrecht. Zudem entspricht das nicht der Wahrheit. Wir hoffen, dass wir die Erforschung des Innerlichen und die Entwicklung des Innerlichen (im 4. Kapitel) wiederbeleben können, damit Umweltaktivisten anerkennen, dass sich Umweltprobleme für verschiedene Menschen anders „zeigen“, abhängig von ihrer Weltsicht (traditionell, modern oder postmodern). Wir hoffen, dass diese Erkenntnis die Führungskräfte der Umweltbewegung dazu veranlassen wird zu lernen, wie sie diese anderen Weltsichten verstehen und mit ihnen kommunizieren können, damit wir mehr Engagement und Mitarbeit bei der Lösung unserer größten ökologischen Gefahren erreichen.
Integrale Ökologen müssen sich in die persönliche und kulturelle Weltumgebung der wichtigen Interessengruppen einfühlen können. Jeder hat eine unvollständige Wahrheit beizutragen und jeder hat ein Interesse an der Umwelt, nicht nur die Umweltaktivisten. Es ist wichtig, dass wir verstehen, wie jeder mögliche Vorschlag für Leute klingt, die aus anderen Perspektiven handeln, damit wir mit ihnen effektiv zusammenarbeiten können. Das bedeutet nicht, dass unvollständige Sichtweisen unser Verständnis oder die Lösung bestimmen sollten, aber sie müssen eine Rolle spielen. Die integrale Ökologie ist der Ansicht, dass wir alle im gleichen Boot sitzen und deshalb auch so handeln sollten.
Es gibt ganz reale Gründe, warum wir die innerlichen Perspektiven neu beleben müssen. Durch die Verweigerung des Studiums des Innerlichen, einschließlich der großen Unterschiede darin, wie die „Natur“ und „Ökosysteme“ auf verschiedenen Entwicklungsebenen (traditionell, modern und postmodern) wertgeschätzt werden, erreichen Umweltschützer oft keine öffentliche Unterstützung, um menschliche Aktivitäten zu korrigieren, die das menschliche und nicht-menschliche Leben bedrohen.
Viele Ökologen – nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch Umweltaktivisten, die sich auf die ökologische Wissenschaft berufen – nehmen an, dass persönliche und kulturelle (innerliche) Veränderungen automatisch erreicht werden, wenn wir die Menschen über die Umweltprobleme und die Dynamik der Ökosysteme informieren. Aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Wir behaupten, dass genau die gleichen Tatsachen, die wir nutzen, um Menschen zu informieren, unterschiedliche Werturteile auslösen, die von der jeweiligen Weltsicht abhängen. Deshalb setzt eine effektive Vermittlung von Umweltthemen voraus, dass es rhetorische Strategien gibt, die die Werte derjenigen, die unterrichtet werden, berücksichtigen. Ein konservativer Christ ist vielleicht bereit, eine Spezies vor der Zerstörung zu retten, weil sie eine Kreatur Gottes ist, wohingegen ein agnostischer Modernist die gleiche Spezies schützen wird, weil sie möglicherweise für die medizinische Forschung nützlich ist. Beides sind akzeptable Motive, ungeachtet unserer eigenen Perspektive. Tatsachen motivieren die Menschen verschieden, abhängig von ihrem Wertesystem oder ihrer Weltsicht. Nur wenn wir das Innerliche des Menschen ernst nehmen, können wir anerkennen, in welchem Ausmaß Innerlichkeit den ganzes Kósmos durchdringt.
Eine planet-zentrische Ausdehnung des Innerlichen: Dem Kosmos wieder Tiefe geben
Zusätzlich zur Anerkennung des Innerlichen beim Menschen gehen einige Forscher heute davon aus, dass auch Tiere und sogar Pflanzen ein Inneres besitzen, wenn auch keine selbst-reflexive Innerlichkeit. Ein führender Philosoph der Bewusstseinsforschung, David Chalmers, ist der Ansicht, dass es ein grundlegendes Bestandteil – eine Art Proto-Bewusstsein – geben muss, das innere Phänomene wie das menschliche Bewusstsein möglich machen – genauso wie die Materie/Energie als Grundbestandteil der materiellen Phänomene. Das menschliche Gehirn wäre dann sehr eng mit der Art von Bewusstsein verbunden, die die Voraussetzung für die subjektive menschliche Erfahrung ist. Chalmers geht auch davon aus, dass die Fähigkeit für Erfahrung, wie klein sie auch sein mag, bis ganz nach unten reicht, und er gibt eine weit entwickelte, postmoderne Version des Panexperimentalismus, die in vielen wichtigen Annahmen mit dem Panperspektivismus der integralen Theorie übereinstimmt.
Die Fähigkeit für Erfahrung können wir schon einzelligen Organismen zuschreiben. Obwohl sie kein zentrales Nervensystem haben, können sie Nahrung erkennen und sie umschließen. Wenn der Panexperimentalismus recht hat, dann ist das Erkennen und Umschließen von Nahrung kein mechanischer Prozess, sondern beinhaltet Erfahrungskorrelate auf niedriger Ebene. Zellen, die einen Organismus bilden, stehen durch ausgereifte Austauschprozesse von Signalen in Verbindung, sowohl innerlich als auch mit anderen Zellen. Signale beinhalten den Austausch von Informationen in der Form von Zeichen oder Codes. Naturwissenschaftler gehen nun davon aus, dass das Universum mit Information durchdrungen ist, die Ordnung erst möglich macht. Die DNA, um das bekannteste Beispiel zu nehmen, ist Information in der Form eines komplexen Codes, der es Lebensformen ermöglicht, sich fortzupflanzen. Viele Forscher neigen heute zu der Hypothese, dass es einen Meta-Code geben muss, dessen Ort und Merkmale noch unspezifisch sind, der aber dafür verantwortlich ist, die Signale zu ordnen, die von der DNA benutzt werden.
Signale spielen auch im sozialen Leben eine Rolle. Ferdinand de Saussure definierte die Semiotik als die Wissenschaft, „die die Rolle der Zeichen als Teil des sozialen Lebens untersucht“. Und auch das soziale Leben geht offensichtlich bis ganz nach unten, so sieht es jedenfalls die Biosemiotik, die die Signale zwischen Tieren und Pflanzen untersucht. Die Universalität der Signale zeigt, dass der Kósmos von Grund auf intelligenzfähig ist und dass auch von Grund auf ein Inneres vorhanden ist. Das heißt nicht, das jedes Einzelwesen bewusst ist, sondern dass das Leben eine Perspektive einzunehmen scheint – alles ist zumindest der Wahrnehmung fähig. Jedes Einzelwesen bildet eine begrenzte Lichtung oder Perspektive, egal wie eng sie auch sein mag. Diese Ansicht ist eine Form der Pansemiotik, wie sie von Charles S. Peirce beschrieben wurde, die das Universum auf allen Ebenen der Organisation als durchdrungen von Bedeutung ansieht. Der dänische theoretische Biologe Claus Emmeche fasst die pansemiotische These so zusammen: „Das Universum ist von Zeichen durchdrungen, Semiosis (die Entstehung der Zeichen) ist ein Prozess, den wir nicht nur in der belebten Natur vorfinden, zwischen Wesen, die organische, funktionale Ganzheiten bilden (Organismen als Interpretierende oder Interpretierte). Das Zeichen, sein Objekt und der Interpretierende sind universelle Kategorien, die (in aufgelöster Form) vor der Entstehung des Lebens existiert haben.“ Die integrale Ökologie befürwortet die Pansemiotik als ein intersubjektives Korrelat subjektiver Pan-Innerlichkeit.
Obwohl Innerlichkeit – die Fähigkeit eine Perspektive oder Lichtung zu öffnen – keine ausschließlich menschliche Fähigkeit ist, sind Menschen mit einem besonders reichen, linguistisch verfeinerten Modus der Innerlichkeit versehen. Menschen können sich sogar bewusst werden, dass sie bewusst sind, dadurch können sie absichtsvoll ihr Denken und Handeln verändern, sie können nach ihrer Herkunft, ihrem Dasein und ihrem Sinn fragen. Das ist ein besonderer evolutionärer Fortschritt. In allen Weltreligionen haben die Menschen einen besonderen Status. Selbst der Buddhismus, der oft als Gegensatz zu den drei vermeintlich anthropozentrischen westlichen Versionen des Monotheismus (Judentum, Christentum und Islam) herangezogen wird, geht davon aus, dass es nötig ist, als Mensch geboren zu werden, um sich vom Rad des Leidens zu befreien (d. h., obwohl nicht-menschliche Organismen eine Buddha-Natur besitzen, können sie sich dessen nicht bewusst werden und sind deshalb in ihrem Leiden gefangen). Der Kósmos besteht nicht nur aus materiellen Objekten, sondern beinhaltet auf vielen verschiedenen Ebenen auch innerliche Tiefe.
Diese Innerlichkeit macht es möglich, technische Macht zu nutzen, um nicht-menschliche Lebewesen auszubeuten, aber sie macht es auch möglich, eine Moral zu entwickeln, die nach einem Ende des zerstörerischen Verhaltens ruft. Die technologische Beherrschung der Natur konnte nur in der modernen Ära entstehen. Um diese destruktive Beherrschung zu begrenzen oder zu transformieren, müssen wir mehr tun, als neue Technologien zu entwickeln oder das soziale System zu verändern. Wir müssen gesunde Ausdrucksformen jeder Entwicklungsebene fördern und innerliche Entwicklung in vielen verschiedenen Fähigkeiten unterstützen.
Mit jeder äußeren soziopolitischen, ökonomischen oder technologischen Herrschaftshierarchie steht eine innere Herrschaftshierarchie in Beziehung. Obwohl der Mensch die moderne Wissenschaft und Technologie benutzt hat, um andere zu beherrschen, ermöglichte der Eros, der die Emergenz des modernen Bewusstseins hervorbrachte, auch die Entstehung einer weltzentrischen Ethik, die die universellen Rechte der Menschheit zur Grundlage hat. Umweltschützer haben sich ausdrücklich auf diese Werte bezogen, um gegen die Konsequenzen der industriellen Technologie vorzugehen. Aber für die meisten modernen Menschen gibt es weiterhin eine innere Herrschaftshierarchie in Bezug auf nicht-menschliche Lebewesen. Bis eine kritische Masse von Menschen sich zu postmodernen Ebenen der Innerlichkeit entwickelt, in der rücksichtslose Beherrschung von menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen inakzeptabel und unmoralisch wird, wird die Umweltbewegung eine Reformbewegung innerhalb der technologischen Moderne bleiben. Erst wenn diese Entwicklung und Transformation erscheint, werden wir die weite Verbreitung dessen sehen, was Hans Jonas „den Imperativ der Verantwortung“ nennt. Dann und nur dann werden wir uns für diese Welt und andere Species verantwortlich fühlen. Für uns ist es eindeutig, dass ein Schlüssel zu unserer Zukunft als Spezies darin liegt, das Innerliche wieder wertzuschätzen und zu entwickeln. Anders als so viele philosophische Bewegungen bisher, glauben wir nicht, dass allein die Verstärkung unserer Innerlichkeit helfen wird. Wir brauchen innerliche individuelle, innerliche kollektive, äußerliche individuelle und äußerliche kollektive Perspektiven und Methodologien. Wir brauchen sie alle. Der Kόsmos hat viele Facetten. Wir können nicht erwarten, den Kόsmos allein durch unvollständige Perspektiven und eine einzige Methodologie zu verstehen; wir müssen eine kaleidoskopische Sicht mit vielen Facetten entwickeln.
Die integrale Ökologie koordiniert Perspektiven, die für ökologische Fragestellungen relevant sind. Obwohl das menschliche Wissen begrenzt und perspektivisch ist, gehen wir davon aus, dass es möglich ist, immer umfassendere Modelle und Verständnissysteme zu schaffen, die mehr von der Wirklichkeit einschließen können. Solche Modelle geben Menschen eine größere Fähigkeit komplexe Probleme zu verstehen und darauf zu reagieren, das trifft auch auf ökologische Probleme zu. Die integrale Theorie formuliert solch ein Modell. Selbstverständlich gibt es erhebliche Schwierigkeiten, wenn wir Bezugssysteme koordinieren wollen, die sich ja wahrscheinlich auf sehr unterschiedliche Arten von Phänomenen beziehen, die sich zusätzlich in verschiedenen Zeitabläufen und physischen Größenordnungen befinden. Deshalb muss die integrale Ökologie verschiedene effektive Meta-Diskurse führen, die sowohl diese Unterschiede anerkennen und hilfreiche Wege finden, um sie zu verbinden.
Durch die Vermeidung einer Methodenhegemonie, nach der es nur eine Möglichkeit oder nur wenige Möglichkeiten gibt, um ein Phänomen zu interpretieren, treten wir für einen integralen Methodologischen Pluralismus (IMP) ein, den wir im 2. und 8. Kapitel noch näher beschreiben werden. Wegen des Ärgers, den solch ein Pluralismus bei denen provoziert, die davon überzeugt sind, dass ihre Methode allein den „Einzigen“ oder „wertvollsten“ Weg zur Wahrheit bietet, ist IMP eine besonders passende Abkürzung (das Wort „imp“ bedeutet im Englischen soviel wie Kobold oder Teufelchen, A. d. Ü.). IMP ist eine Sammlung von Praktiken und Annahmen, die auf der Intuition beruhen, dass „jeder teilweise recht hat!“ und dass jeder eine unvollständige Facette der Wirklichkeit hervorbringt und eröffnet.
Nach Ansicht von Wilber enthält IMP drei Prinzipien: Nicht-Ausschließlichkeit (Akzeptanz von Wahrheitsaussagen, die die Beweisführung innerhalb ihrer eigenen Paradigmen in ihren entsprechenden Wissensfeldern bestanden haben), Entfaltung (einige Praktiken sind einschließender, holistischer und umfassender als andere) und Inkraftsetzung oder Ko-Konstruierung* (die Phänomene, die durch verschiedene Forschungsmethoden erkennbar werden, hängen zum großen Teil von vielen Faktoren ab, die den Forscher, der das Phänomen erkennt, beeinflussen). (Die englischen Begriffe sind nonexclusion, enfoldment und enactment, Anm. d. Ü.) Diese drei Prinzipien schützen die Relevanz der verschiedenen Methodologien. Im Folgenden beschreibt Wilber seine Entscheidung für einen trans-methodologischen oder integralen Ansatz:
Der wichtige Punkt jedes integralen Ansatzes besteht darin, dass er sich mit so vielen Forschungsbereichen wir möglich verbindet, bevor er sich sehr schnell wieder den spezifischen Fragen und Anwendungen einer bestimmten Praxis zuwendet. … Ein integraler Ansatz … ist ein Panoramablick auf die Forschungsmethoden (oder die Mittel der Wissensgewinnung), die Menschen nutzen und für Jahrzehnte oder manchmal Jahrhunderte benutzt haben. Ein integraler Ansatz basiert auf einer grundlegenden Idee: Kein menschlicher Geist kann 100 % falsch liegen. … wenn es darum geht zu entscheiden, welche Ansätze, Methodologien, Epistemologien oder Wege des Wissens „korrekt“ sind, kann die Antwort nur lauten: „Alle“. Das heißt, all die verschiedenen Praktiken oder Paradigmen der menschlichen Forschung – einschließlich der Physik, Chemie, Hermeneutik, kollaborativen Forschung, Mediation, Neurowissenschaft, Visionssuche, Phänomenologie, Strukturalismus, Erforschung subtiler Energien, Systemtheorie, schamanische Reisen, Chaostheorie, Entwicklungspsychologie – all diese Forschungsmethoden haben ein wichtiges Teil des umfassenden Puzzles. …
Wilber, Vorwort in Integral Medicine
Die Haltung des Einschließens bedeutet nicht, dass zu wenig konzeptuelle Strenge vorhanden wäre. Sie setzt voraus, dass bei komplexen Problemen viele Arten der ernsthaften Forschung angewendet werden. Oft verwechseln wir konzeptuelle Strenge mit der Forschungsmethode, die von den Naturwissenschaften und zu einem geringeren Grad von den Sozialwissenschaften angewendet wird (das Messen und Zusammenfassen objektiver Daten). Was im Englischen als „natural sciences“ und „the humanities“ bezeichnet wird, heißt im Deutschen beides Wissenschaft: Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Die Wurzel des Wortes Wissenschaft kann man als „Wissen“ und „Hervorbringen“ übersetzen. Somit ist Wissenschaft die ernsthafte Forschung, um Wissen hervorzubringen. Jede Perspektive hat ihre eigenen Methoden, Praktiken, Annahmen und gemeinschaftlichen Standards, um Wissen hervorzubringen. Es gibt viele Wissenschaften! Es gibt Wissenschaften, die sich mit Subjektivität, Intersubjektivität, Objektivität und Interobjektivität beschäftigen. Wir sind der Ansicht, dass sie alle etwas Wichtiges beizutragen haben.
Gleichermaßen können auch Umweltprobleme nicht vollkommen durch die ökologische Wissenschaft verstanden werden. Wir brauchen Einsichten aus vielen anderen Perspektiven. Wie die Plenartagung der Ecological Society of America gezeigt hat, haben wissenschaftliche Ökologen in den letzten Jahren versucht, andere Perspektiven einzuschließen. Deshalb fordert die integrale Ökologie eine Forschung, die einbezieht, wie das Innerliche des Menschen, wie beispielsweise psychologische Identitäten, emotionale Dynamik, kulturelle Werte und körperliche Erfahrungen mit ökologischen Problemen in Zusammenhang steht. Wir fordern auch die Anerkennung der Existenz des Innerlichen bei allen Mitgliedern des Ökosystems (einschließlich der nicht-menschlichen).
In diesem Kapitel haben wir beschrieben, wie wir die innerlichen Perspektiven verloren haben und warum wir sie brauchen (genauso wie andere Perspektiven) und haben begonnen, einen Vorschlag zu formulieren, wie wir sie wieder fruchtbar werden lassen können. Wir denken, dass das integrale Modell ein Modell ist, das fähig ist, alle Perspektiven zu ordnen, die notwendig sind, um die Umweltprobleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, zu verstehen und zu lösen. Die integrale Ökologie ist ein multiperspektivischer Ansatz, um Umweltprobleme zu charakterisieren und zu lösen. Solch ein Ansatz setzt voraus, dass die innerlichen Perspektiven – sowohl subjektiv (1. Person) als auch intersubjektiv (2. Person), menschlich und nicht-menschlich – genauso ernst genommen werden, wie äußerliche objektive und interobjektive (3. Person, Singular und Plural) Perspektiven. Im Folgenden untersuchen wir die Perspektiven der 1., 2. und 3. Person in ihrer Wirkung im Quadrantenmodell der integralen Theorie.
Sean Esbjörn-Hargens, Michael E. Zimmerman
Integrale Ökologie – Die Vereinigung verschiedener Perspektiven auf die natürliche Welt
Format: 14,3 x 21 cm
550 Seiten
Paperback
ISBN: 9783943194555
Autoren
Sean Esbjörn-Hargens ist ein Gründungsmitglied des Integralen Instituts. Er ist Professor für integrale Studien an der John F. Kennedy Universität und machte wichtige Beiträge in den Feldern Integrale Ökologie und Erziehung.
Er hat über ein Dutzend Artikel in unterschiedlichen akademischen Fachzeitschriften publiziert und praktiziert sowohl tibetanischen Buddhismus als auch den Ansatz von A.H. Almaas.
Michael E. Zimmerman ist ein Philosoph, und Autor mit besonderem Interesse an Buddhismus, Martin Heidegger, Friedrich Nietzsche und Ken Wilber. Nach einem Jahr als Assistant Professor der Denison University, war er Professor of Philosophy an der Tulane University von 1975 to 2005, und Director des Institute for Humanities and the Arts in Tulane. Er hat eine Vielzahl von Büchern und Artikeln veröffentlicht
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