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2. Besser Leben Forum
Klima – Bewusstheit – Ethik

1. Februar 2020, Olten

Martin Frischknecht (Verleger und Chefredaktor von Spuren): Ist das Leben, welches wir führen denn nicht gut? Oder braucht es einfach noch eine Steigerung?

Marc Schmuziger (Verleger und Psychotherapeut): Ein besseres Leben hat nichts mit “Steigerung” zu tun. Die Propagation einer Lebensoptimierung, wie wir sie heute erleben, geht ja von einem Mangel aus und versucht uns dann etwas schmackhaft zu machen, das wir uns leisten sollen. So funktioniert die Werbung. Und oft kaufen wir dann etwas, weil wir uns mangelhaft oder ungenügend fühlen. Die Integrale Politik wie auch die Ökopsychologie geht aber davon aus, dass “weniger mehr ist” und dass es nicht alleine äusserer Besitz ist, der glücklich macht, sondern eine innere Haltung oder innere Werte. In diesem Zusammenhang wird auch gerne der Begriff der “Suffizienz” gebraucht, der genau dies meint - nämlich, dass wir mit einer gewissen Genügsamkeit weitaus besser leben können als in diesem Überfluss an Sensationen und Gütern.

Jürg Theiler (Ökonom und Tiefenpsychologe): Was gut oder nicht gut ist, entscheiden die Instinkte, die Gefühle und der rationale Verstand. Das sind die Wünsche und Funktionen der Instinktiven-, Affektiven- und Instrumentellen Intelligenz. Es sind nur Teilsysteme der Psyche. Sie beantworten nur Teilaspekte des Lebens. Die Frage, die das ganze Leben an uns stellt ist: Was ist richtig und was ist falsch? Diese Frage stellt und beantwortet nur die Empathische Intelligenz, die wir auch Seele nennen.

Martin Frischknecht: Auf die Stimme der Seele lauschen, genügsam leben – reicht das denn auch? Ihr engagiert euch beide im Bereich der integralen Friedensförderung. Für Frieden möchte man doch aktiv werden, etwas dafür tun und sich schlimmen Entwicklungen entgegenstellen.

Jürg Theiler: Ja, das ist ein Teil des Problems. Die Instinkte, die Gefühle und der rationale Verstand wollen das Leben selbst in die Hand nehmen. Sie wollen ihre Wünsche befriedigen. Sie ermächtigen sich selbst. Die Seele funktioniert nicht auf diese Weise. Sie meint, will, muss und handelt nicht. Sie ist nicht aktiv, sondern rezeptiv. Sie empfängt die Information, die sie ist, die in ihr gespeichert ist. Sie ist genügsam. Sie ist bescheiden. Sie herrscht nicht über das Leben. Sie dient dem Leben. Diesen Gegensatz zwischen den vier Teilsystemen unserer Psyche müssen wir erst erkennen können. Er muss uns bewusst werden. Erst dann können wir das Leben erfüllen. 

Marc Schmuziger: Genügsam oder achtsam sein, bedeutet nicht, einfach passiv zu bleiben. Aber die Wendung nach innen erlaubt uns erst, wieder die innere Stimme oder innere Natur zu hören, die unser Handeln anleitet. Das ist nicht möglich, wenn wir stets den Jubel und Trubel mitmachen, der ins unserer Konsumgesellschaft so hoch gehalten wird. Nein, dazu braucht es Momente des Innehaltens, damit wir diesen inneren Kontakt wieder finden können. Bereits die alten Daoisten wussten davon. Sie sprachen vor 2300 Jahren vom “Wu-Wei”, was wörtlich übersetzt “Nichts-Tun” bedeutet. Damit ist aber nicht “Däumchendrehen” gemeint, sondern “Handeln oder Sein-Lassen” wenn die Zeit dafür gekommen ist – also nicht willkürlich oder manipulierend einzugreifen und alles optimieren zu wollen, sondern zu handeln in Übereinstimmung mit einem lebensspendenden Urprinzip. Die Daoisten nannten dieses Urprinzip “Dao”. Die Ökopsychologen verwenden hier einen ähnlichen Begriff: das “Lebensnetz”, mit dem die gesamte Welt, ja sogar der Kosmos, untrennbar verwoben ist. Wir können nicht immer achtsam sein, sollten uns aber immer wieder die Zeit dafür nehmen, damit wir diesen inneren Kompass, der mit allem verbunden ist, auch für uns haben.

Martin Frischknecht: Mir ist bei solchen Anlässen mehr als einmal bewusst geworden, dass viele Teilnehmer sich davon angezogen fühlen, die eine bestimmte Mission wahrnehmen wollen. Sie haben bereits eine Methode oder ein therapeutisches Verfahren kennengelernt, von dem sie überzeugt sind, es werde den Frieden bringen. Mal ist es gewaltfreie Kommunikation, mal Meditation, mal Familienstellen, mal Frauenförderung, mal Tanz – und dann begegnen sich die vielen Einzelvertreterinnen und -vertreter und wundern sich, dass sie irgendwie nicht recht miteinander können. Was schlagt ihr dazu vor?

Marc Schmuziger: Das sind alles wunderbare Methoden oder Ideen, die du anführst, und es stimmt, die Identifikation mit der Methode oder Idee selbst bringt uns da nicht weiter, sondern kann sogar zu Glaubenskriegen führen, wie uns die Geschichte ja gelehrt hat.  Es ist auch nicht so, dass wir wegen der gleichen Gesinnung gleich zu Freundinnen und Freunden werden. Wir können aber diese Methoden verwenden, um einen authentischeren Weg und zu Selbstverantwortung wie auch Verantwortung für unsere Mitwelt zu finden. Wir realisieren zum Beispiel, wie entfremdet und abgespalten unser Dasein geworden ist und suchen dann Wege, diese Spaltung zu überwinden, weil wir plötzlich begreifen, dass dies der Grund dafür sein könnte, dass wir uns als Menschen so schädlich der Mitwelt gegenüber verhalten. Eine Methode soll also immer auch die Frage beinhalten, zu welchen Schritten sie uns, ganz real, in unserem Leben mit unserer Mitwelt führen kann. Denn sonst droht die Gefahr, dass sie zum Selbstzweck wird. 

Jürg Theiler: Es gehört zum Prozess des Bewusstwerdens, zu erkennen, dass jeder Mensch von einer anderen Ausgangslage ausgeht. Es ist seine partikuläre, einzelne, einzigartige Position. Ebenso ist erforderlich zu erkennen, dass das Ziel, die Erfüllung des Lebens, und die System-Gesetzmässigkeiten, die dazu führen, universell, das heißt für alle Menschen dieselben sind. Je länger er auf dem Weg ist, umso mehr nähert er sich allen anderen Menschen an. 

Martin Frischknecht: Verstehe ich so, dass es nicht um die Erfüllung meines persönlichen Lebens geht, sondern um die Erfüllung unseres Lebens als gemeinsamem Ziel. Wie könnte sich das am Tag selber zeigen? Habt ihr dazu vielleicht einen Wunsch oder eine Vision?

Marc Schmuziger: Die Ökopsychologie, von der ich am “Besser Leben Forum” berichten werde, geht tatsächlich davon aus, dass das persönliche Leben mit der ökologischen Welt untrennbar verbunden ist. Was wir ihr antun, tun wir uns selber an, wie auch umgekehrt: “Der Raubbau an der Welt spiegelt sich auch im Raubbau an uns selbst.” Das ist die eigentliche Vision. Wenn wir dies ganz tief in uns verspüren, sind wir in der Lage, diese Spaltung zu überwinden. Die Gefühle und Empfindungen zeigen uns dann, wie es uns in dieser Welt geht, und sie sagen uns auch viel über das Leiden der Welt, welches auch zu unserem geworden ist. Erst wenn wir dies akzeptieren, begreifen wir zutiefst, in was für einen destruktiven Strudel wir geraten sind, und können daraus die nächsten Schritte tun. Ich glaube, das zeigt sich schon an vielen Orten und in vielen Initiativen auf unserer Welt. Meine Vision wäre aber, dass wir endlich aus diesem Schubladendenken rauskommen. Ökologische Gerechtigkeit oder Frieden sind nicht ohne Gerechtigkeit und Frieden unter uns Menschen denkbar. Wir sind genauso Teil dieser ökologischen Welt. Das Eine ist ohne das Andere nicht möglich.

Jürg Theiler: Das persönliche Leben geht im universellen Leben auf. Die Wünsche und Funktionen der Instinktiven-, Affektiven- und Instrumentellen Teilsysteme gehen in der Empathischen Intelligenz, in der Seele, auf. Sie dienen dieser. Sie dienen dem ganzen Leben. Sie machen es voll. Sie er-füllen das Leben. Mehr und weniger ist nicht zu erkennen und nicht zu tun. 

13. Dezember 2019

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