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(2008, 2020 überarbeitet)

Die naturwissenschaftliche Erforschung psychoaktiver Substanzen beschäftigt sich bisher schwerpunktmäßig mit den chemischen, biologischen und neurologischen Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Doch natürlich konsumiert kein Mensch psychoaktive Substanzen, weil er es toll findet, daß dieser oder jener Neurotransmitter gehemmt oder ausgeschüttet wird, oder weil es eine Reizleitung von A nach B gibt – all das interessiert die meisten Anwender in Wirklichkeit überhaupt nicht. Statt dessen liegt das Motiv für den Konsum fast immer darin, daß die Substanz eine Veränderungen im Bewußtsein bewirkt. Doch welcher Art ist die Veränderung? Es gibt eine große Anzahl subjektiver Erfahrungsberichte darüber, aber keine zeitgemäße Kategorisierung. Der letzte (mir bekannte) Versuch einer solchen stammt von Stanislav Grof in seinem Buch „Topographie des Unbewußten“ von 1978, ist aus integraler Sicht aber eher eine phänomenologische „Flachlandbeschreibung“. Der nachfolgende Artikel versucht eine generelle Kategorisierung der Wirkung psychoaktiver Substanzen vor dem Hintergrund des Integralen Bewußtseinsmodells nach Ken Wilber, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Nutzbarkeit für therapeutische Zwecke.

(Wenn Sie in den Grundlagen der Integralen Theorie fit sind, können Sie die folgenden, heller eingefärbten Absätze überspringen.)
Da man nicht davon ausgehen kann, daß das Integrale Bewußtseinsmodell allgemein bekannt ist, soll ein kurzer Abriß desselben vorangestellt werden. Einleitend ist es allerdings angebracht, sich zum Wesen der Realität und dem Wahrheitsgehalt wissenschaftlicher Theorien zu positionieren. Was also ist Realität?

1. Die Konstruktion der Wirklichkeit

Eine der wichtigsten Erkenntnisse Immanuel Kants – die auch das jetzt ausklingende Zeitalter der Postmoderne geprägt hat – war die Einsicht, daß Realität nicht einfach etwas Gegebenes ist, sondern eine Konstruktion bzw. Interpretation durch das menschliche Bewußtsein. Niemand weiß wirklich, was die objektive Realität ist – obwohl es eine solche durchaus geben kann – sondern nur, was er von ihr wahrnimmt. Dabei gibt es deutliche kulturelle und individuelle Unterschiede. Ein neugeborenes Kind beispielsweise erfährt die Welt noch unmittelbar und sinnlich ungetrennt (amodal), wodurch eine synästhetische Wahrnehmung entsteht, die lediglich von den biologischen Fähigkeiten seiner Sinnesorgane begrenzt ist. Außerdem erlebt es sich und die Umwelt als ein fließendes Kontinuum. Das heißt, sein Körper geht ohne Grenze in das Kinderbett und dieses in den Fußboden über und auch Bewußtsein und Materie sind in seiner Wahrnehmung nicht getrennt. Da die Licht- und Schallwellen in Farben und Geräusche übersetzt werden müssen, ist auch die frühkindliche Wahrnehmung schon eine Konstruktion der Wirklichkeit, allerdings zuerst einmal eine primäre, körperlich-biologische. In späteren Lebensphasen werden die Sinneswahrnehmungen in die Daten der verschiedenen Sinneskanäle zerlegt, mit ähnlichen, früher gemachten Erfahrungen verglichen und durch Assoziation mit einem positiven oder negativen Gefühl bewertet. Anschließend wird das Ergebnis mit den kollektiven Ansichten, die in der jeweiligen Kultur über die Bedeutung des wahrgenommenen Phänomens existieren, verglichen und außerdem in einem oder mehreren Wörtern der jeweiligen Sprache kodiert. Dabei dienen individuelle Erinnerungen, kollektive Ansichten, kognitive Fähigkeiten und die Sprache als kognitive Filter, die bestimmen, welche Sinnesdaten überhaupt wahrgenommen und wie sie weiterverarbeitet werden. Das Ergebnis ist eine sekundäre Konstruktion der Wirklichkeit. Der Vorteil dieses komplexen Verarbeitungsprozesses ist für den erwachsenen Menschen, daß das Wahrgenommene einen Sinn erhält, wohingegen dem Neugeborenen mit seiner ungefilterten Wahrnehmung zwar die Gesamtheit seiner Sinnesdaten zur Verfügung steht, es aber noch keine Bedeutung darin entdecken kann.
Auch Wissenschaft ist unter diesem Aspekt nichts anderes als eine sekundäre Konstruktion der Realität, und zwar eine kollektive – sozusagen eine gemeinsam verabredete Landkarte – die abhängig ist vom kognitiven Entwicklungsstand der Kartographen. Daraus folgt natürlich, daß auch die Integrale Theorie nur eine menschengemachte Landkarte ist – nicht die Realität selbst. Insofern kommt ihr also auch kein absoluter Wahrheitsanspruch zu, da es in einiger Zeit höchstwahrscheinlich bessere Landkarten geben wird, sondern vor allem ein Nützlichkeitsanspruch: Beschreibt diese Landkarte das Phänomen besser als andere derzeit existierende?
Die Besonderheit der integralen Landkarte besteht vor allem darin, daß sie versucht, eine „Theorie von allem“ zu sein – also eine Metatheorie. Dieser Anspruch klingt zuerst sehr anmaßend. Er relativiert sich jedoch schnell, wenn man berücksichtigt, daß alle menschlichen Erkenntnisse und Reflexionen Produkte des Bewußtsein sind. Und aus der Einsicht heraus, daß Menschen nur die Abbildung der Realität in ihrem Bewußtsein kennen können, will die Integrale Theorie vor allem eine Landkarte des Bewußtseins sein, ein Bewußtseinsmodell. Die Phänomene in der Außenwelt werden also als Spiegel benutzt um zu untersuchen, was mit dem menschlichen Bewußtsein erkennbar ist. Dieses Bewußtsein kann individuell durchaus verschieden sein. So wird ein religiöser Mensch die Realität anders interpretieren als ein Positivist oder ein Konstruktivist. Deshalb ist es eine weitere Besonderheit der integralen Theorie, ausdrücklich die Position des Kartenzeichners zu berücksichtigen. Die (derzeitige) Standortbestimmung das Autors wäre in diesem Zusammenhang als „transrationaler Konstruktivist mit einer neutral-monistischen Weltanschauung, geprägt durch europäische Denktraditionen“ zu beschreiben.

2. Philosophische Grundlagen: Das Integrale Strukturmodell

Die Integrale Theorie hat derzeit in dem amerikanischen Philosophen Ken Wilber ihren bekanntesten Vertreter. Dieser hat über viele Jahrzehnte das Menschheitswissen gesichtet und versucht, eine Struktur dahinter zu finden. Wenn in diesem Aufsatz immer wieder sein Name genannt wird, so ist er gleichzeitig als Synonym und Wertschätzung zu verstehen für all die Wissenschaftler und Forscher, deren Erkenntnisse von ihm ausgewertet worden sind. Aus Wilbers Arbeit ist ein Metamodell entstanden, das sich – weil es zu allererst ein Bewußtseinsmodell ist – auf alle Bereiche des Lebens anwenden läßt. Mit den 5 grundlegenden Dimensionen Ebenen, Quadranten, Linien, Typen und Zustände läßt sich nicht nur das Universum selbst, sondern gleichermaßen alles, was sich auf natürliche Weise darin entwickelt hat, sehr logisch einordnen: Das pluralistische Wissenschaos bekommt plötzlich eine Struktur. Man kann diese Strukturelemente auch als fraktale Dimensionen sehen, da sie alle (bis auf die Teilung individuell-kollektiv) auf verschiedene Weise jeweils das Spannungsfeld Geist-Materie beschreiben. Nachfolgend werden die für das Thema wichtigen Strukturelemente vorgestellt und mit verschiedenen Beispielen – meist aus dem Bereich der menschlichen Psyche – illustriert. Da Linien und Typen im Rahmen des Themas keine Rolle spielen, seien sie hier nur namentlich erwähnt.
  

Weinreich Wirkung psychoaktiver Substanzen 01

Abb. 1: Evolution in der Zeit
  

Der wohl wichtigste Begriff bei Ken Wilber ist Evolution bzw. Entwicklung. Seit dem Urknall, der derzeit die Grundannahme für den Beginn unseres Universums vor ca. 13 Milliarden Jahren ist, dehnt sich dieses Universum aus und wird gleichzeitig immer kälter und „ungeordneter“ (Entropie) – so die Kurzbeschreibung der Evolution aus der Perspektive des Physikers. Diese ist allerdings eine rein quantitative. Parallel dazu haben sich im gleichen Zeitraum jedoch immer komplexere und gleichzeitig bewußtere Strukturen entwickelt – ein Phänomen, das leicht übersehen wird, wenn man Evolution ausschließlich physikalisch betrachtet. Die Zunahme von Komplexität und Bewußtheit scheint offensichtlich auch ein Gesetz der Evolution zu sein, das mit klassischen physikalischen Theorien aber nicht beschrieben werden kann. Wilber weist darauf hin, daß Evolution demzufolge nicht zufällig und ungerichtet erfolgt, sondern gerichtet und außerdem über qualitativ deutlich voneinander unterscheidbare „Entwicklungsebenen“, die mehr oder weniger fließend ineinander übergehen. Diese Gerichtetheit ist nicht mit gradliniger Linearität zu verwechseln, denn es gibt Sackgassen, Schleifen, Differenzierungen usw., weshalb als Gesamtbild wohl ein sich spiralförmig windender und verzweigender Baum als Bild besser geeignet wäre als ein einzelner, gerader Evolutionspfeil. In der integralen Philosophie wird die Darstellung als Regenbogenspektrum bevorzugt: Jede Farbe repräsentiert eine neue Ebene und doch sind die Grenzen zwischen ihnen fließend.
  

Weinreich Wirkung psychoaktiver Substanzen 02  

Abb. 2: Qualitative Entwicklungsebenen
  

Jede neue Ebene hat qualitative Eigenschaften (A, B, C, D usw.), die über die der früheren Ebenen hinausgehen, diese aber mit einschließen. So hat eine lebende Zelle auch physikalische und chemische Eigenschaften, doch geht das Leben selbst über diese hinaus und läßt sich nur mit Begriffen der Biologie beschreiben. Dadurch kommt es zu evolutionären Hierarchien: Eine neue Ebene ist höher, weil sie neue Qualitäten und Freiheitsgrade hat – die vorhergehende ist grundlegender, weil sie die Basis für die neue Ebene bildet: ohne Atome keine Moleküle, ohne Moleküle keine Zellen, ohne Zellen keine Organismen usw. Aus der hierarchischen Struktur ergibt sich außerdem, daß in der Entwicklung keine Ebene übersprungen werden kann und daß jede Ebene auch weiterhin die vorhergehenden enthält – unabhängig davon, ob es sich um materielle oder Bewußtseinsstrukturen handelt. So basieren beispielsweise die Formen der höheren Mathematik auf den Grundrechenarten und setzen diese auch nicht außer Kraft.

Das zweite wichtige Strukturelement sind die Quadranten. Wilber bezeichnet alles, was sich natürlich entwickelt hat – Atome, Einzeller, Tiere, Menschen usw. – als Holon (Teil/Ganzheit). Jedes Holon hat in der menschlichen Wahrnehmung einen Körper und ein individuelles Bewußtsein (Psyche). Diese sind untrennbar miteinander verbunden und stellen Wilber zufolge die Außen- und Innenseite des Holons dar – ein Eigenschaftsdualismus, wie er auch von G. T. Fechner bis D. Chalmers vertreten wird. Dabei korreliert die Komplexität des Körpers mit der Komplexität der Psyche. So ist es nicht verwunderlich, daß man bei der Einfachheit der materiellen Struktur eines Atoms von einem Protobewußtsein sprechen muß, da es lediglich mit Hilfe von Photonen Informationen mit Seinesgleichen austauschen kann. Einzeller sind schon wesentlich komplexer und können verschiedene Informationen der Umwelt verarbeiten und darauf reagieren. Höhere Tiere kennen bereits Gefühle – und das Nervensystem des Menschen hat eine derartige Komplexität erreicht, daß es zu psychischen Leistungen wie Kunst, Wissenschaft und Selbstreflexion fähig ist. 
  

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Abb. 3: Die Quadranten als Hauptperspektiven
  

Weiterhin existiert nichts in diesem Universum allein, sondern es gibt immer mehrere Individuen einer Art. Diese bilden gemeinsam ein intersubjektives Bewußtsein – die jeweilige „Kultur“ und erschaffen sich eine materielle Struktur, hier „Systeme“ genannt. Die 4 Bereiche Psyche, Körper, Kultur und Systeme bilden die Quadranten eines Holons. Genau genommen sind es nichts anderes als 4 Perspektiven, um ein Objekt zu betrachten, da der menschliche Verstand – wie im Abschnitt „Die Konstruktion der Realität“ beschrieben – außerstande ist, ein Holon unmittelbar in seiner Gesamtheit zu erfassen. Diese Quadranten entwickeln sich in gegenseitiger Abhängigkeit (Tetra-Evolution), das heißt, daß eine Entwicklung in einem der Quadranten über kurz oder lang Entwicklungen in den anderen Quadranten nach sich zieht. Während die Ebenen für die Entwicklung über die Zeit stehen, repräsentieren die Quadranten die Entwicklung im Raum.

Das letzte hier zu besprechende Strukturelement ist der Grund, weswegen Wilber von einem Großteil der rationalen scientific community nicht anerkannt wird. Doch wäre es unredlich, wenn jemand versuchte, eine „theory of everything“ aufzustellen und aus Opportunismus Erkenntniswege wegließe, nur weil sie nicht in das naturwissenschaftliche Weltbild passen. Während sich die Naturwissenschaft (einschließlich der Psychologie) nämlich fast ausschließlich mit der Wahrnehmung der Realität im Wachbewußtseinszustand beschäftigt, gibt es noch zwei weitere natürliche Bewußtseinszustände: den Traum und den traumlosen Tiefschlaf. Diese Zustände können die meisten Menschen – bis auf einige Traumreste am Morgen – nicht bewußt wahrnehmen. Doch könnte es interessant sein, nicht nur von außen die physiologischen Korrelate von Traum und Tiefschlaf zu erforschen, sondern auch unsere Wahrnehmung und Verarbeitung der Realität in diesen Zuständen. Dadurch wären völlig andere Einsichten in das Universum möglich.
In der Darstellung der Quadranten wurden die einzelnen Felder als nach außen heller werdende Verläufe gezeichnet. Diese Verläufe lassen sich für die Darstellung der Bewußtseinszustände in 3 Transparenzen unterteilen, wobei man im Hinterkopf behalten sollte, daß die Übergänge in Wirklichkeit fließend sind:
  

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Abb. 4: Ebenen, Quadranten und Zustände
  

Dabei bezeichnet „manifest“ die Welt, die mit dem normalen Wachbewußtsein wahrgenommen werden kann. Wilber behauptet, daß die manifeste Welt einen Urgrund hat, den er mit den Wörtern „kausal“ oder „GEIST“ (im hegelschen Sinne) belegt. Er charakterisiert diesen Zustand als absolut leer, leer von jeder Eigenschaft, leer auch von jeder Beschreibbarkeit. D.h., daß auch das Wort „Leere“ nur eine Analogie für etwas ist, das sich jeder faßbaren Rationalisierung entzieht. Das soll hier ausdrücklich betont werden, um darauf aufmerksam zu machen, daß GEIST keine wie auch immer gearteten anthropomorphen Eigenschaften hat, wie sie zum Beispiel in viele religiösen Vorstellungen den Göttern zugeschrieben werden, sondern eher im Sinne eines neutralen Monismus (G. T. Fechner, E. Mach, B. Russel) zu verstehen ist. Mit dieser „Leerheit von allem“ ist auch kein Vakuum-Raum im klassisch-physikalischen Sinne gemeint – denn auch Raum und Zeit gehen aus dieser kausalen Leere hervor – sondern eher ein „Möglichkeitsraum“, ähnlich vielleicht dem, was heute in der Quantenphysik diskutiert wird. In der kausalen „Leere“ des GEISTes wird jeder Strukturierungsversuch absurd. Daher wird er in den Abbildungen durch das Weiß des Hintergrundes symbolisiert. Das Individuum hat Wilber zufolge in den traumlosen Phasen des Tiefschlafes einen unmittelbaren Zugang zu dieser Realität.
Die Zwischenschicht zwischen „manifest“ und „kausal“ nennt Wilber „subtil“ und bezeichnet damit den Realitätsbereich, der im Traumschlaf erfahren wird. Hirnphysiologische Messungen belegen, daß der Traumschlaf verschiedene Plateaus hat, was von Menschen, die bewußte Erfahrungen in subtilen Zuständen gemacht haben, auch von inhaltlicher Seite bestätigt wird. In vielen spirituellen Traditionen wird der Weg vom normalen Wachbewußtsein zur „Leere“, die von ihnen als die ultimative mystische Erfahrung angesehen wird, in fünf Teilbereiche gegliedert. Das, was die meisten Menschen am nächsten Morgen erinnern, sind überwiegend Erfahrungen aus Traumbereichen, die dem Wachzustand am nächsten sind, wohingegen die tieferen Plateaus im allgemeinen nur von Menschen erinnert werden können, die des luziden Träumens fähig sind. Zusätzlich zu diesen drei Zuständen gibt es noch einen vierten, den Wilber „nondual“ nennt und der sich als die Einsicht charakterisieren läßt, daß manifest, subtil und kausal nur drei verschiedene Erscheinungsformen des GEISTes sind.
Aus den obigen Beschreibungen wird schon deutlich, worum es bei den Zuständen eigentlich geht: Nämlich daß das bewußte Erleben von Zuständen der Inhalt von Religion bzw. Spiritualität sein könnte. Das impliziert, daß es auch eine Entwicklung über die Zustände geben muß. Der Unterschied zur Entwicklung über die Ebenen ist der, daß diese Entwicklung – zumindest beim Menschen – nicht hierarchisch aufeinander aufbaut, sondern eher ein „Wiederentdecken“ ist, da diese Zustände ständig vorhanden sind: Jeder Mensch wacht, träumt und schläft von Geburt an. Während es im Wachzustand durch Auseinandersetzung mit der Umwelt (= Lernen) zu einer immer stärkeren Differenzierung kommt, ist es möglich, durch Auseinandersetzungen mit der Innenwelt (= Introspektion) zu immer mehr Wachheit zu gelangen. Daraus ergeben sich zwei Entwicklungsrichtungen für den Menschen:
  

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Abb. 5: Die zwei Entwicklungsrichtungen
  

Für die Entwicklung über die Zustände muß sich der Suchende über introspektive Methoden in außergewöhnliche Bewußtseinszustände versetzen, wie sie zum Beispiel durch extreme Lebenserfahrungen, spirituelle Praxis oder bewußtseinserweiternde Methoden induziert werden, und kann dann ihre Inhalte als unmittelbare und existentielle Erfahrung wahrnehmen. Diese Zustände sind vor allem durch eine zunehmend amodale Wahrnehmung durch alle Sinne und die schrittweise Ausschaltung der kognitiven Filter gekennzeichnet. Das heißt, daß man nicht mehr automatisch eine durch den rationalen Verstand gefilterte sekundäre Konstruktion der Realität erhält, sondern je nach Tiefe des Zustandes eine mehr oder weniger unmittelbare, primäre Wahrnehmung, die nur durch die biologischen Grenzen der Wahrnehmungsorgane eingeschränkt wird, dabei aber in Intensität und Detailreichtum weit über das hinaus geht, wie rational geprägte Erwachsene ihre Umwelt im Wachzustand wahrnehmen. Die kognitive Interpretation erfolgt erst mit einem Zeitversatz im Nachhinein, nachdem der Betreffende wieder im normalen Wachzustand ist. Sowohl das unmittelbare Erleben als auch die Interpretation wird von der Bewußtseinsebene des Forschenden moduliert, wie jede andere Erkenntnis auch.
In außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen werden wichtige Charakteristika sowohl der Innen- als auch der Außenwelt verändert wahrgenommen. Dazu gehört unter anderem, daß sich im subtilen Bereich die Grenzen zwischen den Quadranten auflösen, wodurch Dualitäten wie Bewußtsein-Materie oder Subjekt-Objekt wegfallen. Dem versucht die Abbildung „Ebenen, Quadranten und Zustände“ durch gestrichelte Linien zwischen den Quadranten gerecht zu werden. Vom Individuum wird es normalerweise als eine Ausweitung seines Ichs über die Körpergrenzen hinaus erlebt. Auch die lineare Zeit kollabiert und nimmt verschiedene andere Zustände an. Im Kausalen wird sie zu einer permanenten Gegenwart, die als „Ewigkeit“ erfahren wird: „Die Zeit steht still“. In einer Erfahrung des kausalen Urgrundes wird natürlich die Einteilung in Quadranten völlig hinfällig: Leerheit ist Leerheit ist Leerheit.
Auch wenn die konkreten Inhalte von Erfahrungen in außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen immer individuell gefärbt sind, so lassen sich doch strukturelle Gemeinsamkeiten feststellen. Das heißt, daß Menschen unter ähnlichen Bedingungen ähnliche Erfahrungen machen. Da die Menschen sich in diesen Momenten in einem Zustand erhöhter Wachheit befinden – also bewußter sind als in ihrem normalen Wachzustand, was auch hirnphysiologisch nachweisbar ist – scheint es sich demnach nicht um Träume oder Phantasien, sondern um Aspekte der Realität zu handeln. Das legt die Schlußfolgerung nahe, daß man ihre Muster und Gesetze erforschen sollte, anstatt sie zu ignorieren.

3. Die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins

Nach der Betrachtung der Strukturelemente der integralen Philosophie soll nun die individuelle und kollektive Evolution des Individuums über die Bewußtseinsebenen kurz betrachtet werden. Die Schilderung der kollektiven Entwicklung orientiert sich hauptsächlich an dem Anthropologen Jean Gebser und die der individuellen an Jean Piagets entwicklungspsychologischer Analyse der kognitiven Entwicklung. 

Nach Wilbers Ansicht wiederholt sich in der psychischen Individualentwicklung die kollektive Entwicklung der Menschheit, ähnlich wie ein Fötus auch körperlich verschiedene Stufen der Evolution durchläuft. Die Parallelen von Phylogenese und Ontogenese bestehen allerdings nur in der Grundstruktur der jeweiligen Bewußtseinsebene. In der Oberflächenstruktur gibt es natürlich sowohl zwischen Individuen als auch zwischen Gesellschaften als auch zwischen Individuen und Gesellschaften viele Varianten. Beispielsweise ist allen Vertretern der magischen Bewußtseinsebene der Glaube an eine beseelte Natur zu eigen (Grundstruktur) – doch äußert er sich von Kultur zu Kultur und Mensch zu Mensch auf unterschiedlichste Weise (Oberflächenstruktur). Auch Kinder in unserer westlichen Industriegesellschaft gehen durch dieses Stadium. Doch aufgrund der völlig anderen äußeren Anforderungssituation werden sie es ziemlich schnell hinter sich lassen, während es in einer indigenen Stammesgesellschaft die Zielebene darstellt.
  

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Abb. 6: Entwicklung des individuellen Bewußtseins über die Zeit
  

Wilber zufolge hat sich das menschliche Bewußtsein von den Anfängen bis heute über 6 große Ebenen entwickelt. Er bezeichnet sie in Anlehnung an J. Gebser als archaische, magische, magisch-mythische, mythische, rationale und pluralistische Entwicklungsebene – für die individuelle Entwicklung werden sie auch als Drehpunkte D-1 bis D-6 bezeichnet. Sie folgen hierarchisch aufeinander und sind J. Piaget zufolge jeweils durch einen bestimmten Modus gekennzeichnet, in dem das Individuum die Welt wahrnimmt und interpretiert. Etwas vereinfacht könnte man diese Modi als körperlich, emotional, bildliches Denken, konkretes Denken, abstraktes und systemisches Denken bezeichnen. Die Bewußtseinsebene, die die Mehrzahl der erwachsenen Mitglieder einer Gesellschaft erreicht hat, bildet das »Durchschnittsbewußtsein«. Es wirkt wie ein Magnet: Die Entwicklung von Menschen, die sich unterhalb dieser Bewußtseinsebene befinden, wird begünstigt - die Entwicklung von Menschen, die darüber hinausstreben, gebremst. In den hochindustrialisierten Ländern der Nordhalbkugel liegt es Untersuchungen zufolge zwischen D-4 (konservativ-religiöse Weltsicht) und D-5 (rationale Wissenschaftlichkeit). Auf diesen Ebenen ist die Differenzierung so weit fortgeschritten, daß der einzelne Mensch aus seinem ursprünglichen Eingebettet-Sein in die Natur und seiner Gruppenzugehörigkeiten herausgetreten ist. Er hat jetzt eine stabile, sich von der Umwelt als getrennt erlebende Persönlichkeit (ICH, Ego) ausgebildet – ein Prozeß, der auch als „Individuation“ bezeichnet wird.
Die Entwicklung bis zu D-5 ist vor allem durch eine mehr oder weniger komplette Verdrängung aller vorherigen Entwicklungsebenen gekennzeichnet, sowie durch eine zunehmende Konzentration auf die Entwicklung des ICH. Durch die damit einhergehende Herausbildung der kognitiven Filter rutschen subtilere Bereiche des Seins und des Bewußtseins zunehmend ins Unbewußte: Ein kognitiv dominierter Mensch kann subtile Realitäten normalerweise nicht (mehr) wahrnehmen – und wird sie deshalb als „nichtexistent“ abtun. Aus diesem Grunde neigt er auch dazu, alles Spirituelle abzulehnen, und nur die manifeste Welt gelten zu lassen. Auf der Abbildung sind deshalb verschiedene Bereiche als „zeitweise unbewußt“ abgedeckt. Menschen auf frühen Bewußtseinsebenen (Kinder, indigene Völker etc.) haben einen leichteren Zugang zu diesen Räumen, da sie die Welt noch überwiegend auf eine amodale Weise wahrnehmen, andererseits aber noch nicht so gut entwickelte kognitive Filter und Verdrängungsmechanismen besitzen, die die Wahrnehmung selektieren und interpretieren könnten. Dadurch unterscheidet sich ihre Wahrnehmung deutlich von dem, was Menschen auf D4 oder D-5 hören oder sehen. Das drückt sich auch in ihrer präpersonalen Spiritualität aus. Doch ist dies kein Zeichen einer besonders hohen spirituellen Entwicklung, sondern ihr ursprünglicher Zustand.
Anfang des 20. Jahrhunderts begann die pluralistische Ebene D-6 zu emergieren, die mit den 68ern zur Massenbewegung wurde. Sie ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß sie sich bemüht, die früherer Entwicklungsebenen wieder zu integrieren. Im individuell-inneren Quadranten zeigt es sich an der Bedeutung, die heutzutage Psychotherapie und Selbsterfahrung besitzen, da dadurch die Integration von Körper, Gefühl und Verstand sowie früherer Bewußtseinsebenen möglich ist. Innerhalb der Gesellschaft ist es an der zunehmenden Integration der Kulturen der Welt ersichtlich: Während bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts jede Kultur vorrangig in sich selbst verharrte und alle äußeren Einflüsse als exotisch und fremd betrachtet wurden, ist die Welt inzwischen zu einem gigantischen Schmelztiegel der Kulturen geworden. Ein weiteres Charakteristikum von D-6 ist die schrittweise Integration der anderen Bewußtseinszustände: Der verstärkte Gebrauch psychedelischer Substanzen seit der Hippie-Zeit führte dazu, daß relativ große Schichten der Bevölkerung unmittelbar Zeiten und Räume erfahren konnten, die jenseits dessen lagen, wie Realität im normalen Wachzustand wahrgenommen wird. Diese Entwicklung drückt sich beispielsweise in der Hinwendung der 68er-Generation zur Spiritualität aus und ist der Ursprung des New Age. Da unsere Gesellschaft noch keine schlüssigen transrationalen Erklärungsmuster für diese nichtrationalen Erfahrungen hat, werden oftmals prärationale mythische, magisch-mythische oder sogar magische Erklärungen bemüht – wie es sich z.B. in der Idealisierung schamanischer Weltsichten durch manche Psychonauten wiederfindet. Aus integraler Sicht ist es zwar sinnvoll, prärationale Methoden für die Weiterentwicklung zu nutzen. Doch führt es in eine Sackgasse – und macht auch die Kritik der rationalen Wissenschaft an der neuen Spiritualität verständlich – wenn man als rationaler oder transrationaler Mensch seine existentiellen Erfahrungen mit prärationalen Theorien erklären will.
Eine neue Bewußtseinsebene ist gerade dabei sich zu entwickeln und weitere werden ihr höchstwahrscheinlich folgen. Diese Stufe D-7 zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie versucht, die positiven Errungenschaften aller vorhergehenden Ebenen in eine evolutionäre Reihenfolge zu bringen, ohne daraus eine Machthierarchie abzuleiten, wie es auf früheren, verdrängenden Bewußtseinsebenen üblich war, egal, ob es sich im Triumph des Verstandes über das Gefühl beim Individuum äußerte, oder im Triumph der feudalen Reiche über indigene Stammesgesellschaften. Während D-6 noch das Loblied der Wertfreiheit sang, wird auf D-7 deutlich, daß die verschiedenen Formen von Kultur und Bewußtsein nicht nebeneinander existieren, sondern sich nacheinander entwickelt haben und aufeinander aufbauen, ihre Vorgänger aber enthalten: Die höhere Mathematik ist aus dem kleinen Ein-Mal-Eins entstanden und enthält dieses – nicht umgekehrt – und die kulturellen Werte der Aufklärung sind aus Antike und Christentum hervorgegangen und enthalten heute noch Elemente davon – und nicht umgekehrt. Außerdem wird hier – bei aller Wertschätzung des rationalen Denkens als Erkenntnisinstrument – dieses um eine transrationale Erkenntnisform erweitert, die Wilber als Schau-Logik bezeichnet und als die unmittelbare Erfassung nichtlinearer Zusammenhänge charakterisiert. Da diese Schau-Logik das rationale Denken überschreitet, werden auch die damit einhergehenden kognitive Filter transzendiert. Dadurch geraten die subtileren, durch das rationale Denken nicht zu erfassenden Bereiche des Seins und des Bewußtseins wieder verstärkt in das Blickfeld. Während bisher die Entwicklung des ICH über die Ebenen zu immer mehr Bewußtseinsfülle dominierte, erhält jetzt auch die zweite Entwicklungsrichtung über immer subtilere Bewußtseinszustände zu mehr Wachheit wieder mehr Gewicht. Das Ergebnis ist im Idealfalle eine ICH-Transzendenz.

4. Psychoaktive Substanzen aus integraler Sicht

Fast alle Kulturen der Welt haben Methoden entwickelt, um normalerweise unbewußte subtile und kausale Bereiche der Realität bewußt zu erkunden. Demnach scheint es ein »natürliches Bedürfnis nach veränderten Bewußtseinszuständen« (A. Weil) zu geben. Die Integrale Philosophie begründet das mit der der Evolution immanenten Tendenz nach mehr Bewußtseinsfülle und mehr Wachheit, die letztendlich die Integration aller Bewußtseinsebenen, -linien und -zustände beinhaltet. Die bekanntesten psychischen Mechanismen zur Erreichung subtiler bzw. kausaler Bewußtseinszustände sind Reizentzug (z.B. Meditation, Dunkeltherapie) und Reizüberflutung (z.B. Trancetechniken, Extremsituationen), Schlafentzug und Fasten (z.B. in Initiationsriten), aber eben auch die rituelle Verwendung geeigneter psychoaktiver Substanzen. Die dabei erlebbaren Phänomene können trotz der durch den jeweiligen Bewußtseinszustand vorgegebenen Grundcharakteristik sehr unterschiedlich sein, da Wahrnehmung und Interpretation stark von der erreichten Bewußtseinsebene des jeweiligen Menschen beeinflußt werden. So wird ein Schamane auf D-2 in den gleichen subtilen bzw. kausalen Räumen andere Erlebnisse haben, als ein Informatiker auf D-6 und diese vor dem Hintergrund seiner Kultur auch anders interpretieren.
Wenn Ken Wilbers Grundeinsicht stimmt, daß jedes Phänomen abhängig vom jeweiligen Kontext betrachtet werden muß und darin seinen jeweiligen Geltungsbereich hat, muß das auch für die Bewertung psychoaktiver Substanzen gelten. Daraus ergibt sich weder eine kritiklose Befürwortung, noch eine pauschale Ablehnung, sondern die Frage nach ihrem konkreten Nutzen in konkreten Anwendungsbereichen.
Der erste Schritt zu einer angemessenen Beurteilung dieser Substanzen unter dem Gesichtspunkt der Bewußtseinsentwicklung ist ihre Differenzierung. Derzeit geschieht dies in unserer Gesellschaft in erster Linie nach juristischen Gesichtspunkten: Ist die Substanz legal oder illegal? Diese juristische Differenzierung ist weit davon entfernt, auf rational-wissenschaftlichen Kriterien zu beruhen, sondern orientiert sich in erster Linie an kulturellen Traditionen und wirtschaftlichen Interessen.
Eine rationale Bewertung bewußtseinsverändernder Substanzen unter der Berücksichtigung der äußeren und inneren Quadranten kann aus meiner Sicht niemals eindimensional sein, sondern müßte mindestens die folgenden 6 Skalen umfassen, die jeweils als fließendes Kontinuum von 0 bis 100 gedacht werden können:

  1. Wirkungsintensität (Rauschintensität)
  2. seelische Folgeschäden
  3. körperliche Folgeschäden
  4. seelisches Suchtpotential
  5. körperliches Suchtpotential
  6. positive Wirkungen

Als weiteres, nichtlineares Kriterium käme die Wirkungsrichtung hinzu. Dabei darf man bei der Betrachtung dieser Kriterien nicht vergessen, daß es keine den Substanzen innewohnenden Eigenschaften sind, sondern daß sie aus der Interaktion der Substanzen mit dem Menschen entstehen und darin einen sehr hohen Variationsgrad haben. So kann die gleiche Substanz auf verschiedene Menschen in Wirkungsrichtung, Suchtpotential und Folgeschäden völlig verschiedene Effekte zeigen (vgl. u. a. Schmidtbauer et al). Am stärksten scheint das seelische Suchtpotential vom Benutzer abhängig zu sein: Es sagt offensichtlich sehr viel über den Suchtaspekt seiner Persönlichkeitsstruktur und fast gar nichts über die Substanz. Trotz dieser Einwände wäre eine solche multidimensionale Kriterienmatrix praktisch recht gut geeignet, um die verschiedenen chemischen Verbindungen in ihrem Eignungsbereich und ihrem Risiko einzuordnen. Während beispielsweise bei Vitaminen die Skalenwerte jeweils in der Nähe von 0 lägen, wären es bei Genußgiften und Rauschdrogen auf einigen Skalen deutlich höhere Werte. So hat z.B. Nikotin eine relativ geringe Rauschintensität und geringe seelische Folgeschäden, wohl aber ein hohes körperliches Suchtpotential und hohe körperliche Folgeschäden. Dagegen hat LSD kaum Suchtpotential und auch körperliche Schäden sind nicht bekannt. Allerdings sind durch die hohe Wirkintensität und die Wirkungsrichtung des LSD bei unsachgemäßer Anwendung sehr wohl schwere seelische Schäden bis hin zum Auslösen einer Psychose möglich (zu den Gründen siehe unten). Diese Beispiele mögen verdeutlichen, daß eine eindimensionale Beurteilung der Gefährlichkeit an der Realität vorbei geht, da das Risiko der einzelnen Substanzen in völlig verschiedenen Bereichen liegen kann. In der Gesamtwirkung müssen natürlich noch Folgen berücksichtigt werden, die auf den sozialen Kontext zurückgehen (z.B. gesundheitliche Risiken durch Illegalisierung, etc.) bzw. in diesen hineinwirken (z.B. Beschaffungskriminalität).
Einen rationalen Überblick über das Gefahrenpotetial der wichtigsten psychoaktiven Substanzen bietet der Pharmazeut David Nutt, der mit seinem Team im Auftrag der britischen Regierung mehrere große Metastudien zu dem Thema durchgeführt hat. Er und seine Mitarbeiter wurden dann allerdings gefeuert, weil die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht den politischen Wünschen der Regierung entsprachen.
  

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Abb. 7: Schadenspotenzial geläufiger Drogen nach D. Nutt et al, 2010
  

5. Die Wirkungsrichtungen von Substanzen

Im Hinblick auf eine integrale Bewußtseinsentwicklung ist natürlich die Wirkungsdimension der interessanteste Punkt. Wenn man genau hinschaut, kann man feststellen, daß es grundsätzlich zwei Dimensionen gibt: Die Veränderung der Erregung (arousal) und die Veränderung der Wahrnehmung (perception).
Der Erregungszustand wird überwiegend von Substanzen beeinflußt, die schwerpunktmäßig auf das Dopaminsystem wirken. Je nach Richtung unterteilen sie sich in:

a) dämpfende Substanzen (insbesondere Alkohol, Heroin u.a. Opiate, Benzodiazepine u. a., entspannende, schmerzlindernde, schlafinduzierende und betäubende Medikamente), hier zusammenfassend als »Tranquilizer« oder »Downer« bezeichnet.

b) antriebssteigernde Substanzen (insbesondere Kokain und verschiedene Amphetamine, aber auch Nikotin, Coffein, diverse Antidepressiva etc.), auch als »Psychostimulantien« oder »Upper« bekannt.

Beide Gruppen sind generell durch ein hohes Suchtpotential gekennzeichnet, wobei körperliches bzw. seelisches Abhängigkeitspotential von Substanz zu Substanz differieren. Dies hängt vermutlich mit der Befriedigung zusammen, die durch das Dopaminsystem ausgelöst wird („Belohnungssystem“).
Die Substanzen, die die Wahrnehmung verändern, sind dadurch gekennzeichnet, daß sie schwerpunktmäßig über das Serotoninsystem den Bewußtseinszustand des Menschen beeinflussen. Körperliche Veränderungen sind bei ihnen eher die Folge des inneren Erlebens. Zu diesen Stoffen gehören:

c) Substanzen, die zu außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen führen, insbesondere Tryptamine wie LSD, Psilocybin (Magic Mushrooms) und DMT (Ayahuasca) sowie einige wenige Phenethylamine (z.B. Meskalin). Von den vielen Bezeichnungen (Halluzinogene, Psychotomimetika etc.) wird hier der Begriff »Psychedelika« bevorzugt, da die darin enthaltende »Bewußtseinserweiterung« meines Erachtens diese Substanzen am besten charakterisiert. Diese Substanzen zeichnen sich dadurch aus, daß sie kaum Suchtpotential haben und auch körperliche Folgeschäden bisher nicht bekannt sind. Durch ihre starke psychogene Wirkung kann es allerdings zu seelischen Schäden kommen.

d) Die entgegengesetzte Wirkung haben „bewußtseinsverengende“ Substanzen, die aus veränderten Wachbewußtseinszuständen zurück in die manifeste Normalität führen. Zu ihnen gehört die große Gruppe der Neuroleptika, mit denen die Medizin versucht, Menschen mit Psychosen zu stabilisieren. Da diese Medikamente nicht dazu dienen, außergewöhnliche Bewußtseinszustände hervorzurufen, seien sie nur kurz erwähnt.
  

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Abb. 8: Die Wirkungsrichtung psychoaktiver Substanzen
  

Neben den hier vorgestellten Gruppen gibt es noch zwei Gruppen von »Zwittern«, die sich zwischen den Hauptwirkungsrichtungen befinden:

e) Die Empathogene z.B. MDMA (Ecstasy), 2C-B und Ritalin, stehen in ihrer Wirkung zwischen Stimulantien und Psychedelika und gehören chemisch betrachtet überwiegend zur Familie der Phenetylamine. Sie haben eine wenig bis leichte psychedelische Wirkung, verändern aber vor allem das Gefühlsempfinden und die Denkprozesse und sind vor allem psychotherapeutisch interessant.

f) Außerdem gibt es zwischen Psychedelika und Tranquilizern eine weitere Gruppe von Substanzen, die eher dämpfend wirken, aber auch einen halluzinogenen Anteil haben, wie beispielsweise THC (Cannabis, Haschisch) und GHB (K.O.-Tropfen) und Ketamin, die alle auch im Partykontext verwendet werden. Dazu gehören auch die Psychedelika zweiter Ordnung, z.B. Tropan-Alkaloide (Nachtschattengewächse), Muscimol (Fliegenpilz) Salvinorin A (Wahrsagesalbei) etc., bei denen erwünschte Bewußtseinsveränderung und körperliche Nebenwirkungen oft in einem ungünstigen Verhältnis zueinander stehen, was ihre Anwendung wesentlich gefährlicher macht. Sie sind außerdem fast alle durch eine dissoziative Wirkung gekennzeichnet, weshalb sie hier zu „Dissoziativa“ zusammengefaßt werden. Sie haben – wie auch die Psychedelika – in schamanischen Kulturen eine lange Tradition in Spiritualität und Medizin („Hexensalben“). Viele spielen heute aber kaum noch eine Rolle, vor allem nicht für den therapeutischen Kontext, und werden deshalb hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Darüber hinaus existieren noch verschiedene weitere Substanzen mit sehr spezieller Wirkung, die jedoch aufgrund ihrer derzeit seltenen Verwendung nur eine untergeordnete Rolle spielen, so daß sie gleichfalls hier vernachlässigt werden.

Aus den Wirkungsdimensionen der Substanzen leitet sich ihr Einsatzbereich für den Konsumenten ab (womit natürlich längst nicht alle Funktionen beschrieben sind!): Stimulantien (Nikotin, Amphetamine, Kokain, etc.) sind u.a. direkter Ausdruck unserer derzeitigen Lebensweise zwischen Leistungsorientierung und Hedonismus und der damit zusammenhängenden Lebensphilosophie von höher-besser-schneller-weiter-größer-mehr-etc. Damit entsprechen die Konsumenten dieser Substanzen den gesellschaftlichen Idealvorstellungen, ja stabilisieren sie sogar.
Tranquilizer (Alkohol, Heroin, sedierende Medikamente etc.) sind zum Teil als individueller Bewältigungsversuch des von dieser Lebensweise ausgelösten Stresses und im fortgeschrittenen Stadium als Ausdruck der Verweigerung zu sehen. Sie führen oftmals zu einer psychischen Rückentwicklung in Form von Persönlichkeitsstörungen (insbesondere Narzißmus) – aus integraler Sicht also zur dauerhaften Regression auf prärationale Entwicklungsebenen. Dabei beeinflussen sich die Quadranten sehr stark gegenseitig, so daß es schwierig ist, Anfang und Ende der Kausalkette zu finden: Fühlen sich Menschen mit latenten Entwicklungsstörungen bevorzugt von Tranquilizer angezogen (individuell-innen) oder rufen die Substanzen diese Entwicklungsstörungen chemisch hervor (individuell-außen)? Oder sind die Persönlichkeitsstörungen gar Ausdruck der gesellschaftlichen Stigmatisierung durch die soziale Umwelt (kollektiv-innen) und Folge der Illegalisierung der Substanzen durch staatliche Institutionen (kollektiv-außen), die neben der (körperlichen) Abhängigkeit den abhängigen Konsumenten zu einer dissozialen und egozentrischen Lebensweise (Prostitution, Beschaffungskriminalität etc.) zwingen?
Die Gruppe der psychedelischen Substanzen (LSD, Psilocybin, Meskalin, 2C-B etc.) ist in ihrer Wirkung etwas subversiver: Da diese Substanzen – abhängig von innerer Ausrichtung und Setting – es grundsätzlich ermöglichen, normalerweise unbewußte subtilere Bereiche des Seins und des Bewußtseins bewußt zu machen, haben sie das Potential, die individuelle Entwicklung über die verschiedenen Bewußtseinszustände hin zu mehr Wachheit zu unterstützen. Außerdem spielte der Heilungsaspekt schon immer eine große Rolle. In diesem Sinne sind Psychedelika auch von vielen prärationalen Kulturen im Rahmen von Ritualen und Zeremonien eingesetzt worden.
Die nachfolgende Graphik versucht die unterschiedliche Wirkung der verschiedenen Substanzgruppen auf die individuelle Entwicklung der Nutzer innerhalb Integralen Bewußtseinsmodell darzustellen:
  

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Abb. 9: Die Wirkungsrichtung im Integralen Bewußtseinsmodell

6. Detaillierte Betrachtung der Wirkungen einzelner Substanzen

Aus integraler Sicht sind natürlich Psychedelika am interessantesten, da sie durch ihre aufdeckende Wirkung die Bewußtwerdung des Menschen unterstützen können. Um eine Idee von der Wirkung einzelner Substanzen zu bekommen, ist es vorher notwendig, sich noch einmal das Bewußtseinsmodell im Detail anzuschauen – bzw. den Ausschnitt aus dem individuell-inneren Quadranten. Während die letzten Abbildungen die Entwicklung über die Zeit beschrieben, zeigt die folgende Abbildung eine Momentaufnahme eines Erwachsenen auf der mythischen Bewußtseinsebene im Übergang zur rationalen – also den beiden Ebenen, die nach C. Graves unsere westliche Gesellschaft dominieren:
  

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Abb. 10: Verschiedene Bereiche des menschlichen Unbewußten
  

Diese Abbildung macht deutlich, daß einem Menschen im Wachzustand nur ein sehr kleiner Ausschnitt der Realität bewußt ist – daß es andererseits aber sehr viele verschiedene Bereiche des Unbewußten gibt. Hierzu gehören einmal das transrationale Unbewußte als der Bereich, der ihm noch nicht bewußt sein kann, weil seine Entwicklung in der Zukunft liegt. Das nächste ist der Punkt der Selbstidentifikation: Das Auge kann sich selbst nicht sehen. Weiterhin gehören im manifesten Zustand der individuelle Schatten dazu – also persönliche Erfahrungen, die so traumatisch waren, daß sie (noch) nicht integriert werden konnten und daher verdrängt oder abgespalten werden. Natürlich befindet sich in diesem Bereich auch der integrierte Anteil der Biographie, der, wenn er keine negative emotionale Ladung mehr hat, in ein natürliches Vergessen sinkt. In der Graphik schließen sich nach rechts die subtilen Zustände an, die zunehmend unpersönlicher werden, bis hin zur kausalen Leerheit des reinen GEISTes. Da die Entwicklungsebene einer Person die Erfahrung der subtilen Zustände moduliert, kann das subtile Unbewußte sowohl präpersonal als auch transpersonal sein. Dies wurde in der obigen Beschreibung der Entwicklung über die Zeit schon angerissen und kann nicht oft genug betont werden, da es hier immer wieder zu Verwechselungen kommt. In diesen Bereich gehören auch die Archetypen, wie sie von C. G. Jung beschrieben wurden. Der kausale Zustand als die vollkommene Erfahrung des Urgrundes ist immer gleich (unabhängig von der nachfolgenden Interpretation): Leerheit ist Leerheit ist Leerheit.
Als nächstes sollen einige Substanzen etwas detaillierter betrachtet werden, um deutlich zu machen, welche Bewußtseinsbereiche von ihnen geöffnet bzw. geschlossen werden. Diese Wirkungen sind durch praktische Erfahrungen durchaus bekannt, erhalten durch das Integrale Modell aber eine theoretische Untermauerung.

6.1 MDMA

MDMA soll hier als Musterbeispiel aus der Gruppe der Entaktogene behandelt werden. Es ist vor allem als eine soziale Droge bekannt, die die Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen verbessert. Aus integraler Sicht könnte man sagen, daß sie im individuell-inneren Quadranten auf die Gefühle wirkt und die Wirkung auf den manifesten Bereich beschränkt ist. Dies drückt sich darin aus, daß normalerweise keine nichtpersonalen Bewußtseinsbereiche geöffnet werden und es auch kaum zu visuellen oder akustischen Veränderungen kommt, sondern hauptsächlich zu einer veränderten Eigenwahrnehmung. Doch ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Das Besondere an dieser Substanz ist, daß sie im richtigen Setting zu einer völligen Angstfreiheit führen kann. Das kognitive Selbstkonzept, das jeder Mensch von sich aufgebaut hat, führt normalerweise dazu, sich mit bestimmten Aspekten dieses Universums zu identifizieren und andere abzulehnen. Die abgelehnten Aspekte sind grundsätzlich angstbesetzt und werden daher innerhalb der Person durch schützende Persönlichkeitsanteile verdrängt, bzw. auf andere Personen projiziert. Dieser Vorgang ist so subtil, daß er vom Individuum in der Regel nicht wahrgenommen wird. Nach der Einnahme von MDMA ist es jedoch vielen Menschen möglich, die erlernten Hemmungen, Ängste sowie die Projektionen auf andere Menschen für eine gewisse Zeit zurückzunehmen. Als Ergebnis fühlen sie sich voller Bejahung für sich und ihre Umwelt – was auch immer diese gerade sei. In dieser angstfreien Offenheit und „Bejahung dessen was ist“ liegt ein großer therapeutischer und sozialer Wert, da es dadurch möglich wird, innerpsychisch verdrängte Traumata zu integrieren, bzw. zwischenmenschliche Konflikte zu lösen.
Die angstfreie Offenheit wird von vielen Menschen subjektiv als ein Zustand bedingungsloser Liebe erfahren und gerne mit dem Wort „Herzöffnung“ charakterisiert. Wenn man einmal annimmt, daß diese bedingungslose Liebe das Potential eines jeden Menschen ist, hieße das, daß durch den Konsum von MDMA die Angstbarriere beseitigt wird, die das Individuum von diesem Potential trennt. Viele Menschen kennen diesen Zustand nur aus den Sternstunden einer Liebesbeziehung. Das Besondere der chemischen Erfahrung besteht darin, daß sie zu dem Aha-Erlebnis führen kann, daß andere Menschen nur Auslöser, aber nicht die Ursache dieses Zustandes sind, sondern daß diese im jeweiligen Individuum selbst liegt.
  

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Abb. 11: Der Wirkungsbereich von MDMA
  

Im integralen Bewußtseinsmodell ließe sich die Erfahrung so beschreiben, daß die starren Grenzen zwischen den Quadranten, die unsere Erfahrung der Welt im Wachzustand charakterisieren, beginnen, transparent zu werden – etwas, was gemeinhin ja erst den subtilen Bewußtseinszustand kennzeichnet. Es kommt zu einer intensiven Verbindung der eigenen Psyche mit dem eigenen Körper sowie zu einer tiefen Einfühlung in andere Lebewesen und Dinge. Die individuelle ICH-Struktur bleibt im Allgemeinen erhalten, wird aber deutlich moduliert.
Durch die entstehende Angstfreiheit werden die Verdrängungsgrenzen gelockert, was eine Konfrontation mit den individuellen Schatten ermöglicht. Das heißt, daß vergangene, noch nicht integrierte Episoden der eigenen Biographie zugänglich werden, die normalerweise aus Angst verdrängt bzw. abgespalten werden. Eine besondere Bedeutung hat die Verwendung von MDMA für die Bearbeitung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS). Hier sind die traumatischen Erfahrungen so stark, daß sie nicht mehr verdrängt werden können, sondern als Flashbacks die Person beherrschen. Unter MDMA können diese Traumata aufgrund der Angstfreiheit durchgearbeitet und integriert werden. Außerdem kann es in der Paartherapie gut verwendet werden, weil es ermöglicht, eine Beziehung ehrlich anzuschauen bei gleichzeitiger empathischer Einbeziehung des Partners. Therapeutisch dürfte MDMA das größte Potential haben, weshalb es weltweit Bemühungen gibt, diese Substanz zu rehabilitieren und wieder zu legalisieren.

6.2 LSD und andere Psychedelika

Innerhalb der Familie der Tryptamine gibt es viele Substanzen mit ähnlicher Wirkungsrichtung, z.B. LSD, Psilocybin, DMT und andere. Da wir körpereigene Tryptamine (Serotonin, N,N-DMT, 5-MeO-DMT) als Neurotransmitter besitzen, sind im Gehirn auch die Rezeptoren vorhanden, an denen sie andocken können. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß Psychedelika zu Halluzinationen führen. Das stimmt nicht, da die manifeste Welt jederzeit unmittelbar wahrgenommen wird – aber eben erweitert. Man sieht keine Dinge, die nicht da sind. Hinzu kommen jedoch all die subtilen Phänomene, die hinter der manifesten Welt liegen bzw. diese durchdringen und die wir durch die Begrenzungen unserer Sinnesorgane auf bestimmte Wellenbereiche normalerweise nicht wahrnehmen können.
Das Besondere an ihrer Wirkung ist aus integraler Sicht, daß sie es ermöglichen, gleichzeitig die Quadranten, Zustände und Ebenen zu transzendieren, und dies mit einer deutlich höheren Realitätsanmutung, als es in meditativen Zuständen gemeinhin geschieht: Es ist, als würde man aus der subtilen Welt auf die manifeste schauen, während man bei Gipfelerfahrungen in der Meditation meist aus der manifesten Welt in die subtile schaut.
Der eigene Mittelpunkt wird oftmals noch „gewußt“, doch seine Grenzen, die im nüchternen Zustand durch den Körper und eine psychische Instanz namens „Persönlichkeit“ bzw. ICH gebildet werden, sind weitgehend aufgelöst: Die Person wird zu einem weitgehend ichlosen Bewußtsein-Körper-Umwelt-Kontinuum. Eine grafische Darstellung im individuell-inneren Quadranten würde demnach folgendermaßen aussehen:
  

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Abb. 12: Der Wirkungsbereich von LSD
  

Je nachdem, wie diese Erfahrung emotional erlebt wird, kann man sie mit den Termini „ozeanische Selbstentgrenzung“ oder „angstvolle ICH-Auflösung“ nach A. Dittrich belegen. Wenn es nicht gelingt, letztere zu integrieren, kann es zu einer drogeninduzierten Psychose (HPPD) kommen. Durch die permanente ungefilterte Überflutung mit Informationen aus allen Zuständen auf verschiedenen Ebenen in allen Quadranten wird das psychische System absolut überlastet. Das heißt, die ICH-Grenzen werden nach dem Abklingen der Erfahrung nicht wieder hergestellt und der Mensch ist unfähig, sich und seine manifeste Umwelt seiner Entwicklungsebene angemessen zu interpretieren und darin adäquat zu agieren.
Da sich auch die Grenzen der Quadranten auflösen, kann man die obige Abbildung in die anderen Quadranten spiegeln (die Quadrantengrenzen in der Abbildung sollen nur die Bereiche deutlich machen, existieren aber genau genommen nicht mehr):
  

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Abb. 13: Der Wirkungsbereich von LSD in allen Quadranten
  

Das heißt, daß in diesem Zustand Einblicke in Bereiche des Bewußtseinskontinuums möglich sind, die dem abgetrennten Individuum normalerweise verwehrt sind. Dazu können beispielsweise eine unmittelbare Erfahrung der Arbeit der eigenen DNS gehören (individuell-außen, manifest), die Wahrnehmung „fremder“ Gedanken (kollektiv-innen, manifest), Einsichten aus dem kollektiven Unbewußten (kollektiv-innen, subtil), sowie der Blick hinter die materielle Realität der eigenen Umwelt (kollektiv-außen, subtil) usw. Auch die Erfahrung der Leerheit – also des kausalen GEISTES – hinter allen Phänomenen ist möglich. Lediglich die Zukunft – also das, was noch nicht existiert, sondern erst emergieren will – ist noch nicht wirklich (oder nur sehr schwer) wahrnehmbar, weshalb es nicht erfolgreicher ist, in diesem Zustand Lotto zu spielen, als im normalen Wachbewußtsein. Um dies zu verdeutlichen sind die zukünftigen Ebenen im manifesten und subtilen Zustand in der Abbildung dunkel abgedeckt. Weil GEIST jenseits von Zeit und Raum existiert und damit auch jenseits von Entwicklung ist, kennt ES natürlich keine Zukunft. Daher läuft die abgedeckte Fläche zum kausalen Bereich hin aus.
Aus den Abbildungen ist zu erahnen, worin der therapeutische Wert dieser Substanzen liegen könnte: Sie ermöglichen die Gesamtschau eines Holons, wie sie sonst kaum möglich ist. Diese Erfahrungen werden von vielen Menschen als sehr spirituell erlebt und haben oftmals einen lebensverändernden Einfluß. Tibetische Mönche bestätigen, daß die mit Tryptaminen gemachten Erfahrungen weitgehend mit dem übereinstimmen, was man in Zuständen tiefer Meditation erleben kann.
Auch wenn diese Offenheit nicht gehalten werden kann – was für die Bewältigung des täglichen Lebens sicher auch nicht sehr hilfreich wäre – so geben diese Substanzen doch einen Ausblick darauf, wohin der spirituelle Weg führt und was das Wort „Erwachen“ bedeuten könnte. Nicht zufällig begannen viele Hippies nach ihren psychedelischen Trips zu meditieren und begründeten damit eine neue, erfahrungsbasierte Spiritualität. Es war der Versuch, diese Erlebnisse zu ankern, auszubauen und unabhängig von chemischen Auslösern zu werden. Der transzendentalen Dimension dieser Substanzen ist es auch zu verdanken, daß Menschen, deren Tod in greifbarer Nähe ist, die Angst vor dem Sterben verlieren können: Die Erfahrung, ungetrennter Teil einer Ganzheit zu sein, versöhnt mit dem Verlust des individuellen Körpers und Bewußtseins. Erste kontrollierte medizinische Studien mit der einmaligen Abgabe von LSD an Menschen, die an einer tödlichen Krankheit im Endstadium leiden, zeigten, daß sie sich mit ihrem Schicksal versöhnen konnten, weniger Schmerzmittel brauchten und auch sonst eine höhere Lebensqualität hatten.

Eine besondere Rolle spielt das Tryptamin 5-MeO-DMT. Während das gleichfalls körpereigene N,N-DMT besonders für das Träumen eine Rolle spielt – womit der Zusammenhang zwischen Träumen, Meditation und psychedelischen Erfahrungen erklärbar wird – wird der Neurotransmitter 5-MeO-DMT in extremen Gefahren- bzw. Streßsituationen ausgeschüttet und führt dann zu sogenannten Nahtoderfahrungen (NDE). Der willentliche Konsum von 5-Meo-DMT führt demzufolge zu ähnlichen Erlebnissen, ohne sich dafür in lebensgefährliche Situationen begeben zu müssen. Diese Erfahrung entzieht sich in ihrem Kern jeder Beschreibung – was bei den psychedelischen Erfahrungen ja oft schwierig, aber noch möglich ist. Integral betrachtet ist es die unmittelbare Erfahrung von *GEIST*, die sich nur durch ein weißes Blatt Papier darstellen läßt.
Diese Erfahrung hat eine Intensität, die die Grenzen des Vorstellbaren völlig übersteigt, weshalb ich beim Thema Substanzen zwar grundsätzlich, an dieser Stelle aber auch ausdrücklich von wilden Selbstexperimenten abraten möchte.

6.3 Stimulantien, Tranquilizer und Dissoziativa

Nach der Besprechung einiger Substanzen, die aus integraler Sicht besonders interessant sind, sollen als Kontrast nachfolgend einige Substanzen erwähnt werden, die als Hilfsmittel zur Bewußtseinsentwicklung eher ungeeignet sind.
Opiate, von denen Heroin das verbreitetste ist, zeichnen sich dadurch aus, daß sie das Bewußtsein extrem verengen – also Bewußtseinsbereiche verdunkeln – und außerdem zu einer Identifikation mit einer sehr frühen Bewußtseinsebene führen können.
  

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Abb. 14: Der Wirkungsbereich von Heroin
  

Auch hier kann es zu einer Auflösung des ICHs kommen. Doch ist diese vollkommen anderer Art: Während eine LSD-Erfahrung eher zu einer ICH-Transzendenz führt, kommt es bei starken Heroin-Erfahrungen eher zu einer Regression in einen präegoischen Zustand, so daß der Konsument manchmal nicht einmal mehr weiß, wer er ist. Durch den Rückzug in den subtilen Bereich kann die Realität - also die manifeste Welt – gut ausgeblendet werden. Besonders der Opiumgenuß ist zudem durch einen bildreichen, traumhaften Zustand gekennzeichnet. Damit einher gehen oftmals tiefe Geborgenheits- und Glücksgefühle. Der treffendste Satz, der einen Heroin-Rausch ausdrücken kann, ist: „Ich will zurück ins Ei!“. Dabei sollte man berücksichtigen, daß der Rückzug aus der realen Welt durchaus handfeste Gründe haben kann. In meiner Arbeit als Suchttherapeut konnte ich die Erfahrung machen, daß viele Patienten von schweren Traumata gekennzeichnet waren, so daß Heroin in diesem Sinne eine Form der Selbstmedikation war, um diese seelischen Schmerzen nicht mehr fühlen zu müssen.
In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß Alkohol in entsprechendem Maße die Konsumenten auf ähnliche Bewußtseinsebenen regredieren läßt, auch wenn die begleitenden Gefühle durchaus andere sind: statt Geborgenheit wird eher Aggressivität erlebt. Das hat vermutlich damit zu tun, daß der Alkoholrausch mehr im manifesten, als im subtilen Bereich stattfindet. Außerdem kommt es zu einer deutlich stärkeren Bewußtseinseintrübung.

Völlig anders wirkt Kokain: Es hat eine stark aufputschende, ICH-stärkende Wirkung und führt damit in den manifest-rationalen Bereich der wilberschen Matrix. Damit ist es möglich, daß Menschen, die in ihrer Individuation noch nicht weit fortgeschritten sind, sich ein reifes Ego „borgen“. Ich habe als Suchttherapeut selbstsichere junge Erwachsene erlebt, die mir glaubhaft versicherten, wie der Kokain-Konsum ihnen geholfen hat, die eigene Selbstunsicherheit zu überwinden, indem sie lernten, das Selbstbewußtsein, das sie unter Substanzeinfluß erfahren durften, auch nach Abklingen der Wirkung beizubehalten. Aufgrund des hohen Suchtfaktors verbietet es sich allerdings, Kokain im therapeutischen Rahmen anzuwenden.

Eine spezielle Wirkung haben die Psychedelika zweiter Ordnung aus der Gruppe der Dissoziativa. Diese führen in subtile und kausale Welten, blenden aber gleichzeitig die manifeste aus: Sie verlieren den Kontakt zu ihrem Körper, zu ihrer Umwelt und ihrem manifesten Bewußtsein. Deshalb ist es sehr schwierig, noch während der Erfahrung diese richtig einzuordnen und darauf angemessen zu reagieren. Die subtilen Welten können dabei so gegenständlich wie die manifeste wirken, so daß man von echten Halluzinationen sprechen kann und die Erscheinungen sind oftmals sehr bizarr. Nachfolgend der Versuch, die Wirkung von Ketamin abzubilden: 
  

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Abb. 15: Der Wirkungsbereich von Ketamin
  

7. Zusammenfassung

Eckhard von Hirschhausen hat einmal bemerkt: „Wissenschaft ist immer der aktuelle Stand des Irrtums“. Insofern ist auch dieser Text nur der Versuch, ein altes Thema unter völlig neuen Aspekten zu betrachten. Er ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluß, doch wenn die Integrale Theorie einige Phänomene besser erklären könnte, als es andere Theorien tun, hätte sie in diesem Kontext ihren Sinn erfüllt. Doch letztendlich ist auch sie nur ein Teil des gigantischen Spieles, das wir „Realität“ nennen, welche sich genau betrachtet jeder Beschreibbarkeit entzieht, mögen wir uns auch noch so sehr darum bemühen.

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9. Der Autor

Wulf Mirko Weinreich (Jahrgang 59) arbeitete nach seinem DDR-Abitur aufgrund eines politisch motivierten Studienverbotes in verschiedenen Berufen. 1985 gründete er ein Selbsterfahrungs- und Meditationszentrum in Leipzig. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands studierte er Psychologie (Abschluß Dipl.-Psych.), sowie Religionswissenschaft, Ethnologie und Sinologie. Als Therapeut arbeitet er vor allem mit Interventionen der Humanistischen, Systemischen und Transpersonalen Psychotherapie sowie spirituellen Methoden. 2005 erschien das Buch „Integrale Psychotherapie” (Heiligenfelder Forschungspreis des DKTP). Seitdem hält er verstärkt Referate und Vorlesungen zu integralen Themen. Bis 2008 war er maßgeblich am Aufbau der Drogenabteilung in der „Fachklinik am Kyffhäuser” beteiligt. 2009 erschien "Das andere Totenbuch". Aktuell ist er in eigener Praxis in Leipzig tätig.

Praxis: www.psychotherapie-in-leipzig.de
Theorie: www.integrale-psychotherapie.de

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