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Jim Marion gehört zu den Pionieren, was die Anwendung von integralem Gedankengut auf den christlichen Glauben angeht. In einem Radiointerview mit Janet Conner erzählt er, dass Ken Wilber es gewesen sei, der ihm wesentlich dabei geholfen habe, seine mystischen Erfahrungen in Worte zu kleiden. (Unity Online Radio, 2013)

Er selbst gibt er an, dass er als Kind sehr frommer Eltern in einer Kleinstadt im nordöstlichen Pennsylvania geboren worden sei. Nach einer Reihe von „Bekehrungserfahrungen“ sei er mit fünfzehn Jahren in ein katholisches Kloster eingetreten, wo er siebeneinhalb Jahre verbracht habe. Nach einer Reihe schmerzhafter Erfahrungen habe er das Kloster wieder verlassen, sich politisch engagiert, Theologie studiert, eine eine juristische Laufbahn eingeschlagen und zahlreiche politische Ämter innegehabt.

In seinen Werken beruft er sich vornehmlich auf das von Ken Wilber entwickelte Stufen-Modell, mit dem dieser in früheren Werken versuchte, erstmals die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie mit den kontemplativen Stufen, wie sie von östlichen und westlichen Mystikern beschrieben wurden, miteinander zu verbinden. Dabei ließ dieser die einen schlicht auf die anderen folgen: Nach den präpersonalen und personalen kommen die transpersonalen Stufen; nach der körperlichen und intellektuellen Entwicklung folgte die auf der Seelenebene.
In einer späteren Schaffensphase löste Wilber selbst sich wieder von diesem Modell, das sich für ihn als zu einfach herausstellte. Nicht ohne Ironie beschreibt er sein damaliges Vorgehen: „Also nahmen wir […] die höchsten Stufen der westlichen psychologischen Modelle […], nahmen dann die drei oder vier Hauptstufen der Mediation […] und packten diese oben auf die anderen Stufen. […] Zack, zack zack – schon haben wir Ost und West vereint!“ (Integrale Spiritualität, 2007, 128) Die von den Mystikern beschriebenen Erfahrungen sieht er nun vorrangig als besondere Bewusstseinszustände, die noch nicht kollektiv als Grundstrukturen in Erscheinung getreten seien.

Jim Marion jedoch erschien das Modell mit seiner persönlichen Erfahrung und der vieler christlicher Mystiker übereinzustimmen, vermutlich auch deshalb, weil er Mystiker [sich selbst eingeschlossen], die diesen Weg bis zum Ende gehen, als seltene Ausnahmen ansieht. „Der Weg zum Christus-Bewusstsein“, so der deutschsprachige Titel seines ersten Buches aus dem Jahre 2000, wird von ihm als ein linear chronologisch verlaufender Prozess der spirituellen Entwicklung verstanden, der mit der kognitiven Entwicklung – von archaisch über rational bis zur Schau-Logik – beginnt und weiter zunächst in das mediale, dann subtile, schließlich kausale und zu guter Letzt, in das nonduale Bewusstsein hinein führt. Dabei sind die zwei letzteren für ihn gleichbedeutend ist mit dem, was Jesus Christus unter dem Begriff „Reich Gottes“ verstanden und aus dem heraus dieser gewirkt habe.

Für ihn ist klar: Erleuchtung ist mehr als ein Moment, in dem es „Klick“ macht. Sie ist nicht nur Geschenk, sie mache auch viel Arbeit. Er macht keinen Hehl daraus, dass er selbst diesen Prozess als sehr schwer und anspruchsvoll erlebt habe:

Der spirituelle Weg zu einer nicht-dualen Schau des Reiches Gottes ist lang und mühsam. (2003, 182)

Die Seele müsse sich gar über viele Leben hinweg entwickeln, um diesen überhaupt meistern zu können. Für ihn, früher großer Skeptiker in dieser Hinsicht, heute ein wesentliches Argument für die Tatsache der Reinkarnation. Eben weil der Weg von archaischem zu kausalem bzw. nondualem Bewusstsein so ungeheuer schwer zu meistern sei, fiele es Menschen mit Vorerfahrungen aus vergangenen Leben leichter, schneller von einer Struktur bzw. Ebene zur nächsten zu gelangen:

Die Beweise […] deuten darauf hin, dass die Heiligen – wie Jesus – ihren spirituellen Weg nicht am Nullpunkt begonnen haben. (243)

Jesus selber sieht er als die erste Seele, die diesen Prozess auf dieser Erde vollständig durchlaufen und die höchste Bewusstseinsstufe erreicht hätte.

Auf diesem Weg sei es notwendig, durch die dunklen Nächte zu gehen, wie sie bereits von Johannes vom Kreuz beschrieben worden seien: Die „dunkle Nacht der Sinne“ beim Übergang vom medialen zum subtilen Bewusstsein und „die dunkle Nacht der Seele“ beim Übergang in das kausale Bewusstsein. Durch die Bewusstwerdung verdrängter negativer Emotionen und die Befreiung von Projektionen bereiteten diese „dunklen Nächte“ für die nächsten Bewusstseinsstufen vor. Es handele sich dabei um tiefe spirituelle Krisen, die sich häufig über Jahre hinweg hinzögen und sich auch im Außen manifestierten:

Der Verlust von Karriere, Einkommen, Zuhause und Auto ist für die Dunkle Nacht der Seele typisch, denn das Meer aus Negativität, das sich nun auf der bewussten Ebene befindet, zieht auch äußere Folgen nach sich. (154)

Diesen schmerzhaften Prozess beschreibt er ausführlich aus eigener Erfahrung. An dem Tiefpunkt seiner Krise suchte er ein Medium auf, die ihm mitteilte, dass er dabei war, sich mit seinen massivsten, tiefsitzenden Ängsten auseinanderzusetzen:

Es gibt einfach keine Worte, die beschreiben könnte, wie entsetzlich [dieser Schmerz] ist [dem er sich stellen musste]. (147)

In seinem zweiten Buch, „The Death of the Mythic God. The Rise of Evolutionary Spiritualität“ [zu dt. „Der Tod des mythischen Gottes“] unterscheidet er daher eine rein kognitive Erleuchtung von einer psychologischen. Obwohl er dem Buddhismus in dieser Pauschalität damit sicher nicht gerecht wird, wenn er behauptet, dieser Lehre eine „rein kognitive Erleuchtung“, wird verständlich, worauf er anspielt: Die Annahme, dass Menschen, die ihre eigene Göttlichkeit erkannt haben, damit automatisch von einem Tag auf den anderen zu einem anderen Wesen würden.

Im Zuge dessen warnt er vor Menschen, die sich selbst zu Lehrern, „Gurus“ machten, obwohl sie sich ihren eigenen, größten Schatten noch nicht gestellt haben: Er nennt das, was sie trieben, schlicht „schwarze Magie.“ Diese seien „Wölfe im Schafpelz“, die andere für ihre eigenen Zwecke manipulierten. Die größte Gefahr von deren Wirken sieht er darin, dass sie Menschen dazu brächten, ihre eigene Göttlichkeit auf sie – den Guru – zu projizieren und dadurch die Erleuchtung ihrer Schüler oder Anhänger geradezu – absichtlich wie unabsichtlich - zu verhindern:

Du kannst nicht erleuchtet werde, wenn du deine Macht durch eine Projektion auf einen Guru oder den Papst abgegeben hast. Spirituelle Lehrer und andere können helfen, aber die Arbeit müssen wir selber machen. Es gibt keinen anderen Weg. (2004, 153, eigene Übersetzung)

Mit „Arbeit“ meint Jim Marion, dass wir auf dem spirituellen Weg nicht umhin kämen, uns früher oder später unseren tiefsten Ängsten, Neurosen und Projektionen zu stellen. Denn die größten Hindernisse für spirituelles Wachstum seien – neben allerlei kognitiven Missverständnissen – emotionaler Natur, die Angst der größte Feind der Liebe.

Ich glaube, dass es der Zweck der dunklen Nacht der Seele, die Jesus symbolisch für uns durch seine Kreuzigung und Auferstehung versinnbildlichte, nicht nur die Erlangung der Einheit mit Gott ist, sondern auch das Erreichen von psychologischer Ganzheit. (150)

Er bezieht sich dabei mitunter auf das Gleichnis Jesu vom Unkraut im Acker: Zunächst sei es notwendig, dass das Unkraut zusammen mit dem Weizen aufwüchse, um dann erst, in einem zweiten Schritt, fein säuberlich von diesem getrennt und aussortiert zu werden.

Als Resultate dieses Prozesses beschreibt Marion Erkenntnisse und Einsichten, tiefe körperliche Heilung als auch Auswirkungen auf die Chakren: Das vollständig geöffnete Kronenchakra verleihe dem Menschen einen „Heiligenschein“, die Öffnung des Herzchakras bewirke große Liebe und Mitgefühl. Der Mensch lebe dauerhaft in einem neuen Bewusstsein, das ihn beständig die Göttlichkeit in allem und jeder und jedem von erkennen ließe.

Das mache jedoch auch am Ende keinen „perfekten Menschen“ aus uns. Selbst große Mystiker, Heilige und sogar Jesus selbst hätten immer noch einige menschliche Schwächen bewahrt. Auch Paulus Rede von seinem „Dorn im Fleisch“ zeuge davon. Wir alle seien so konzipiert, uns ein Leben lang weiter zu entwickeln. Unsere Unvollkommenheiten dienten dabei als wesentlicher Antrieb, immer wieder über uns hinaus- und immer tiefer in unsere göttliche Berufung hineinzuwachsen. Damit ist die Erleuchtung für ihn eine Sache, die nie gänzlich zu ihrem Abschluss kommt: Irgendwo gibt es immer noch dunkle Stellen, die darauf harren, das Licht auf sie geworfen wird.

Sandra Hauser

  

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Jim Marion
The Death of the Mythic God: The Rise of Evolutionary Spirituality by Jim Marion (2004-07-19)
Taschenbuch: 216 Seiten
Verlag: HAMPTON ROADS PUB CO INC; Auflage: New (27. August 2004)
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-1571744067

 

 

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