Logo Integrale PerspektivenNeue Führungskultur – welch ein Thema!

Herzgeist und Furchtlosigkeit –
Kostbare Früchte des Spirituellen Weges!

Was heißt hier neu? Eine Frage, die mich einigermaßen ratlos machte. Geht es um eine neue Mode, einen neuen Buch-, Seminar-, Managementmarkt? Eine neue Möglichkeit, sich in der Welt zu profilieren? Wohl kaum. Um was also geht es – mir?

Wer von neu spricht, ist verwiesen auf die jeweilige Zeitqualität. Ja, und hier gibt es Dank Corona tatsächlich Neues. Dazu kleine Erfahrungsvignetten aus meinem Alltag:

Von „Nahe Ferne – fremde Nähe“ zur Trendwende?

In meinem engsten Umfeld beobachtete ich rege Anstrengungen, Hochbeete anzulegen. Auch ich versuchte schließlich mein Glück. Nicht nur das, alle Hausparteien in meinem Berliner Altbau fanden sich zusammen, um gemeinsam den Innenhof des Hauses in einen wunderschönen Garten zu verwandeln.

In unserem Haus tauchten Hinweise auf, wer alles bereit sei, für die anderen Hausbewohner in Notsituationen aktiv zu werden. Man sprach miteinander – auch als ein Coronafall im eigenen Haus auftauchte. Neue Beziehungen wurden geknüpft.

In Bau- und Blumenmärkten mussten wir mit langen Warteschlangen rechnen. War es nur, weil sie geöffnet waren und die Menschen im Lockdown angehalten waren, zu Hause zu bleiben, oder auch, weil plötzlich entdeckt wurde, dass Handwerkern und Hochbeete anlegen Sinn stiften kann?

Während des Shut downs entdeckte ich in meinem Kiez Schilder an Gaststätten und Geschäften, wonach es sich um Lieblingsorte handele. Durch über die Theke Verkauf und Erwerb von Gutscheinen konnte ich meinen Lieblingsorte und -geschäfte unterstützen.

In Medien lese ich, dass Deutschland, ein Land mit besonders niedriger Eigenheimquote dank eine durch Corona gesteigerte Nachfrage nunmehr steigende Kosten für Eigenheime verzeichnet.

Wirtschaftsauguren sprechen davon, die Globalisierung habe ihren Höhepunkt überschritten und regionale Beschaffungs- und Vermarktungsräume gewännen an Bedeutung.

Nahe Ferne, fremde Nähe, so habe ich einst ein Buch betitelt[1]. Könnte es sein, dass derzeit eine neue Qualität aufscheint? Rückt die Nähe wieder näher und die Ferne wird wieder fremder

Und: Ist das alles nur Folge eines Zwangs oder drückt sich hier auch eine Hinwendung auf andere Werte aus? Wird anderes wesentlich?

Vom Funktionieren zum Wesentlichen? 

Wesentliches, so frage ich mich – wird es unversehens wirklich wesentlich, und das sowohl individuell als auch kollektiv? Wenn ich auf Freund*innen, Bekannte, Klient*innen blicke, auch auf mich selbst, dann fällt mir in diesen Zeiten einiges auf:

Zwei Menschen im näheren Umfeld geraten in eine tiefe Lebenskrise, reagieren mit bewusstem Rückzug, um sich neu zu orientieren, durchlaufen äußerst schmerzliche Prozesse der Konfrontation mit lange überdeckten Verletzungen und Traumata, die unversehens aufgebrochen sind.

Drei Freundschaften gehen in die Brüche, tragen nicht mehr – müde der vielen Kompromisse, die in der Vergangenheit eingegangen wurden.

Ein sehnlichst gehegter Wunsch nach einem sehr teuren Instrument, das dem Leben und der Arbeit eine neue Ausrichtung gebe soll, wird entgegen aller Gewohnheit (mit)geteilt und im Freundeskreis kommt es zu einem überwältigenden Crowdfunding.

Zwei Partnerschaften, die ausweglos zu Ende gegangen schienen, erleben unverhofft eine beglückende neue Perspektive.

Eine berufliche Tätigkeit, die mit permanenten Reisen und Partnerschaft auf Distanz verbunden ist, wird abgelöst durch den mutigen Schritt, ein (Seminar)Haus auf dem immer schon zur Verfügung stehenden Grundstück zu bauen und die Familie an diesem (Heimat)Ort zusammenzuführen.

Eine Beraterin, die sich eine Praxis der permanenten Selbstüberforderung angewöhnt hatte, praktiziert nun jeden Morgen eine Stunde lang konsequente Selbstfürsorge und merkt, wie sich dies beruhigend auf den gesamten Alltag auswirkt.

Was mich selbst angeht: Zutiefst irritiert über die Art, wie in unserer Gesellschaft mit Tod und Sterben generell und insbesondere in Coronazeiten umgegangen wird, habe ich mich entschieden, mich wieder stärker in die öffentliche Diskussion einzubringen, und habe dazu eine Blogserie[2] und einen YouTube Kanal[3] gestartet. Und meinen lang gehegten Wunsch, mich nicht nur bei meinen jährlichen Indienreisen, sondern auch hierzulande im Raum einer spirituellen Gemeinschaft zu bewegen, wird von mir mit einer neuen und unvermuteten Entschiedenheit verfolgt.

Alles nur Zufall? Alles nur meine persönliche Wahrnehmung? Alles nur mein persönliches und berufliches Umfeld? Sicherlich auch dies, aber – so will es mir scheinen – sicherlich auch Ausdruck einer neuen kollektiven Unterströmung, die viele Menschen dazu aufruft, sich auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren – mehr als wir dies bisher getan haben. Klimakrise und Corona konfrontieren uns nicht nur mit der eigenen Verletzlichkeit und der der Natur, von der wir selbst ein Teil sind, sondern fordern gleichzeitig auch dazu auf, die Schönheit und Kostbarkeit des Lebens ins Bewusstsein zu heben. Wollen wir dieses Leben bewahren - so die nun vermehrt ins Bewusstsein drängende Botschaft – so müssen wir uns ganz neu auf das Wesentliche im Leben konzentrieren:

  • auf ein Bewusstsein für die Einheit des Lebendigen;
  • auf die Unverfügbarkeit der Natur, die sich letztlich einem zweckrationalen Zugriff des Menschen entzieht;
  • auf den Schutz von Erde, Wasser und Luft,das Leben von Tieren und Pflanzen vor Ausbeutung, Verschmutzung und Zerstörung;
  • auf die Notwendigkeit, Leben und Arbeiten in Einklang zu bringen mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur und dem Bedürfnis nach Verbundenheit;
  • auf die Würde des Menschen unabhängig von Rasse, Glaube, Herkunft;
  • auf die Unverzichtbarkeit menschlicher Wärme und Zugehörigkeit für gelingendes Leben;

Während im öffentlichen Bewusstsein der Eindruck entstehen kann, man wolle möglichst rasch wieder zum status quo ante, also zu dem, wie es war, zurückkehren, meine ich zu spüren, dass viele Menschen sich in einer neuen Weise aufgerufen fühlen, einen ehrlicheren Blick auf ihr eigenes Leben, Denken, Fühlen und Handeln zu werfen und sich zu fragen, was ihnen im Leben wirklich wichtig, ja sogar wesentlich ist.

Ist es die Karriere, die ökonomische Sicherheit um jeden Preis, die öffentliche und private Anerkennung, um die tagtäglich gerungen wird – koste es, was es wolle? Oder entdecken gerade immer mehr von uns, wie wohltuend Muße, eine gesunde und intakte Natur, menschliche Wärme, die Freude am Spiel und zweckfreien Tun sein kann, wie wohl sich unser Körper fühlt, wenn er gesunde Ernährung, innere Entspannung, frische Luft und gesunden Schlaf genießen kann, wie kostbar es sich anfühlt, wenn es im Alltag gelingt, sich vom Stress der permanenten Selbstüberforderung in unserer vom technischen-ökonomischen Diktat geprägten schnelllebigen Zeit zu befreien.

Wo immer wir sind, führen wir – durch die Art, wie wir sind!!

Und genau hier sind wir an dem Punkt, an dem Mut und Furchtlosigkeit gefordert sind. Gewohnte Pfade in Ehe und Familie, Beruf und Freizeit zu verlassen, in unseren Organisationen und gesellschaftlichen Regelsystemen, im Zusammenleben von Gesellschaften und Nationen, in unserem Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen – all dies verlangt Mut. Es verlangt den Mut, das eigene Leben und das auf diesem Planeten in seiner Verbundenheit und Verletzlichkeit zu erkennen und zu würdigen. Es verlangt den Mut, daraus im Denken, Fühlen und Handeln Schlussfolgerungen zu ziehen und aus dieser Ehrlichkeit heraus im Alltag zu wirken. Wenn das Alte nicht mehr trägt, brauchen wir individuell und kollektiv den Mut, neue Zukünfte zu visionieren, Zukünfte, in denen wir selbst, unsere Mitmenschen, unserer Organisationen und Nationen im Einklang von Mensch und Natur unterwegs sein können. Wir brauchen den Mut, das Visionierte in den spröden und fordernden Alltag zu bringen und den langen und schwierigen Weg der Transformation zu gehen.

Eine neue Führungskultur fängt in diesem Sinne bei jedem von uns selbst an, egal an welchem Platz der oder die einzelne steht. Jede und jeder führt, ob als Vater und Mutter, Mitarbeiter oder Mitarbeiterin, Chef oder Chefin, Kind oder Greis. Jede und jeder von uns wirkt im eigenen Umfeld, hinterlässt Spuren, beeinflusst andere, egal ob wir uns dabei ohnmächtig oder mächtig fühlen, sind doch gerade die Ohnmächtigen äußerst mächtig im Gebrauch ihrer Macht. Neue Führungskultur jetzt, in den Zeiten von Klimakrise und Corona, verlangt mit Macht, so scheint es mir, dass jede und jeder sich selbst daran erinnert, dass er oder sie führt, dass wir machtvoll Handelnde sind – einfach durch die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und handeln.

In einer Zeit, in der die Gefährdung eines gelingenden Lebens so offensichtlich geworden ist, wird der Mut zur inneren Wahrheit zu einer Art Kompass im Kleinen wie im Großen. Mit diesem Mut-Kompass, verbunden mit Augenmaß, Besonnenheit und einem gelassenen Durchhaltevermögen kann es uns individuell und kollektiv gelingen, die Geißel der Selbstentfremdung abzulegen und eine neue tragfähige Resonanz mit den Ordnungen des Lebens zu finden.

Das ist es, was ich mir von einer neuen Führungskultur wünsche: Mutige Menschen, die im Einklang mit der inneren Weisheit denken, fühlen und handeln und damit für andere zum Vorbild werden.

 

Endnoten

[1] Barbara Mettler-von Meibom/Chistine Bauhardt (Hg.): Nahe Ferne, fremde Nähe. Infrastrukturen und Alltag, Sigma 1998

[2] www.communio-fuehrungskunst.de/blog; siehe auch www.integralesforum.org/integrale-perspektiven/2020/189-ip-03-2020-eine-welt-haelt-den-atem-an/5230-tod-und-sterben-ein-gesellschaftliches-tabu-ein-zwischenruf-von-barbara-von-meibom-in-zeiten-von-corona

[3] www.youtube.com/channel/UCQuxrKqlFv4cCMgHA-EE1bQ

 

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