Ken Wilber
Frage: Können Sie mehr über die Quadranten sagen, speziell darüber, wie Perspektiven und Pronomen zu den Quadranten passen?
Ken Wilber: Beginnen wir bei einem erwachsenen Menschen – als einem Holon. Zuerst ist da die Frage, wie weit geht Bewusstsein „hinunter“, und zweitens stellt sich die Frage, wie weit die Perspektiven eines bewussten „Zentrums“ gehen. Dies sind zwei Fragen, und ich gehe von einem durchschnittlichen Erwachsenen aus.
Eine Perspektive ist im Grunde jeglicher Blickwinkel, den man mit seinem Bewusstsein einnehmen kann. Wir stellen fest, dass eine große Anzahl davon eingebettet ist in die meisten der entwickelten Sprachsysteme der Welt, durch Dinge wie die Pronomen der ersten, zweiten und dritten Person. Ich nehme die englische Sprache als ein Beispiel dafür, was wir mindestens vorfinden. Betrachtet man ein Pronomen der ersten Person, dann bedeutet erste Person die Person, die spricht, und in diesem Fall bin ich die erste Person. Zweite Person meint die Person, zu der gesprochen wird – die Person oder die Personen zu denen gesprochen wird, in diesem Fall seid ihr das, die zuhören [die Teilnehmer der Telefonkonferenz], und dritte Person meint die Person oder Sache, über die gesprochen wird. Man kann auch noch in gewisser Weise von einer 4ten, 5ten und 6ten Person sprechen, darüber können wir uns später noch unterhalten. Die meisten Sprachen unterteilen diese Pronomen noch weiter und bilden konkrete Worte, welche diese anderen Beziehungen repräsentieren. Ich finde es sehr interessant, dass es sich hier um etwas Universelles oder weitgehend Universelles handelt. Meiner Meinung nach finden hier die Perspektiven, über die wir Menschen verfügen, ihren Niederschlag, und tauchen in unseren Sprachen wieder auf. Sprache würde sich nicht mit Worten wie „ich“, “du“ oder „sie“ oder „ihnen“ oder „ihr“ oder „es“ entwickeln, wenn es nicht real existierende Dimensionen der Wirklichkeit gäbe, worauf sich diese Worte beziehen. Wenn dem nicht so wäre, wären diese Begriffe wieder verschwunden. Ich halte das für einen sehr, sehr guten Weg im Hinblick auf eine natürliche Orientierung für etwas, was bisher als übernatürlich postuliert wurde. Wir können das nun – mit den gleichen Ergebnissen – auf eine post-metaphysische Weise erreichen. Wie auch immer – die meisten Sprachen unterscheiden die erste Person in Singular und Plural, „ich“ ist Singular und „wir“ ist Plural, – wie sprechen gleich noch über das „wir“ des unteren linken Quadranten –, weiterhin wird dann oft noch eine Fallunterscheidung in Subjekt und Objekt gemacht, „ich“ ist subjektiv und „mir“ ist objektiv, und viele Sprachen haben dann noch ein Possessivpronomen, “mein“. Also ich, mir, mein, wir, uns, unser – das ist alles erste Person. Und auch für die zweite Person gibt es die Unterscheidung von Subjekt und Objekt bzw. Singular und Plural, im Englischen haben wir kein geeignetes Plural für die zweite Person, die Leute aus dem Süden sagen „you all“, die Leute aus dem Norden sagen „you’s guys“, das ist irgendwie lustig –, und die dritte Person ist ihr [her], ihn [him], sie [they], ihnen [them], es [it], sie [its] und so weiter. Es gibt daher, so gesehen, nicht nur vier Quadranten als Perspektiven. Jedes dieser Pronomen ist eine Perspektive, sie beziehen sich auf einen Blickwinkel, den ich oder einer von uns einnimmt gegenüber ihnen oder einigen von ihnen oder dir usw. Es kann sich auch um einen Blickwinkel handeln, den ich mir selbst gegenüber einnehme. Ich kann mir meiner selbst bewusst sein. Ich kann mir auch meines Körpers bewusst sein und so weiter. Wir möchten sie alle berücksichtigen. In einem vollständig ausgearbeiteten integralen Ansatz kann jede dieser Perspektiven angewendet werden. Wir können Perspektiven der ersten, zweiten und dritten Person anwenden und Singular und Plural usw.
Die Analyse, die ich mit den Quadranten gemacht habe, ist folgende: Wenn man sich das alles genau anschaut, dann reduziert es sich auf drei Grundtypen, es lässt sich auf „ich“, „wir“ und „es“ reduzieren. Und ich sage nicht, dass dies die einzigen sind, ich sage, dass es die wichtigsten sind. Ein Beispiel: Wenn wir über die zweite Person „du“ sprechen, und du und ich eine Konversation haben – wenn du und ich uns verstehen, wenn wir uns überhaupt verstehen – dann beginnen wir das Wort „wir“ zu verwenden. Ich frage: „Verstehst du, was ich meine?“ und du antwortest: „Ja, ich denke schon.“ Und so bildet sich – früher oder später – ein „wir“. Ein „du“ oder „Sie“ ist sehr wichtig, aber solange sich kein „wir“ entwickelt, bleibt das „du“ ein „es“. „Du“ bist immer noch eine dritte Person, wir kommunizieren überhaupt nicht miteinander, du könntest auch ein Felsen sein – wir haben nichts, worüber wir miteinander sprechen könnten. Und das gleiche gilt für die dritte Person. Es gibt eine dritte Person „ihm“ [him], und irgendwann können wir mit ihm sprechen und ihn verstehen, und dann wird er zu einem „du“, und schließlich zu einem „wir“, ein Austausch kann stattfinden. Wenn „er“ oder „sie“ jedoch ein Objekt bleibt, dann haben wir ein „es“. Noch einmal, ich sage nicht, dass es nur vier Quadraten gibt, was ich sage ist, dass „ich“, „wir“ und „es“ die wichtigsten sind, und die meisten lassen sich darunter subsumieren. Aber es ist wichtig im Auge zu behalten, dass wir weiter ins Detail gehen können, und uns über Sie, [thou], du [you] oder ihr alle [you all] usw. unterhalten können.
Doch betrachten wir jetzt einmal „ich“, „wir“ und „es“ als die so genannten Quadranten, und lass mich noch einmal sagen, dass ich nicht behaupte, es gäbe nur die vier Quadraten, und dass es unterschiedliche Dinge in den vier Quadraten gibt. Was ich sage ist, dass es ein einzelnes konkretes Ereignis gibt, welches von diesen drei Perspektiven aus betrachtet werden kann. Ein einzelnes Ereignis kann von einer „ich“ Position aus betrachtet werden, es kann von einer „wir“ Position aus betrachtet werden, es kann von einer „es“ Position aus betrachtet werden – und wir erinnern uns daran, dass es noch weitere gibt, aber das Ereignis kann von diesen dreien aus betrachtet werden. Wenn man das tut, dann ist das gleiche Ereignis … es ist ein bisschen irreführend vom gleichen Ereignis zu sprechen, weil das impliziert, dass es sich um eine Singularität handelt, wohingegen ich sage, dass Singular und Plural und innen und außen gleichzeitig erscheinen, sobald eine Unterscheidung gemacht wurde. Es ist also nicht so, dass etwas im oberen rechten Quadranten ist. Es ist vielmehr so, dass jedes empfindende Wesen eine Es-Perspektive hat, eine Perspektive der dritten Person die ihm zur Verfügung steht. Jedes empfindende Wesen – und wir sprechen jetzt über erwachsene Menschen – kann ein Objekt wahrnehmen, und jedes erwachsene empfindende Wesen hat eine Ich-Perspektive. Jedes empfindende Wesen hat einen Bewusstseinsteil, welcher, wenn dieses Wesen sprechen kann, „ich“ sagt. Kein Individuum erscheint für sich allein, selbst in der evolutionären Biologie gibt es niemals eine erste Gegebenheit, gibt es niemals eine einzelne Ente, die herumläuft, es müssen mindestens zwei sein, damit es Nachkommen gibt. Die darwinsche Evolution kann dies nicht erklären, aber sie stimmt darin überein, dass aus irgendeinem Grund komplette Populationen auftauchen. Es gibt kein Singular ohne ein Plural, es gibt kein Innen ohne ein Außen, wo immer es ein „Ich“ gibt, gibt es ein weiteres empfindendes Holon, mit dem es in Resonanz ist, und das ist ein „Wir“. Das meinen wir mit den vier Quadranten, und wir unterscheiden dabei noch „Es“ und „Es-Plural“, aber es handelt sich dabei immer noch um eine Variante des „Es“.
(Quelle: IOS Version 1.0 How perspectives and pronouns fit into the four-quadrant model)
(aus: Online Journal Nr. 3)