Die Wilber-Combs Matrix (benannt nach ihren Urhebern Ken Wilber und Allan Combs) beschreibt die Relation von Zuständen und Strukturen des Bewusstseins zueinander.


Während  Strukturen des Bewusstseins (vertikale Achse) jahrelanges Wachstum voraussetzen und permanente Errungenschaften darstellen, ist das ganze Spektrum der Zustände des Bewusstseins (horizontale Achse) jederzeit erfahrbar. Wachzustand-grobstofflich, Traumzustand-subtil und Tiefschlafzustand-kausal werden bekanntermassen von jedem Menschen in einem täglichen Rhythmus durchlaufen. Sie sind somit allgegenwärtige Energien, zu denen man in einem veränderten Zustand Zugang hat, was insbesondere auch für den allgegenwärtigen Zustand des Zeugen, sowie des nondualen "Einen Geschmacks" gilt.

Der Schlüssel zum Verständnis der Relation von Struktur-Stufen zu Zuständen des Bewusstseins ist die Erkenntnis, dass Menschen auf jeder (vertikalen) Stufe der Entwicklung jede Form mystischer Einheitserfahrung (horizontal) machen können, diese aber notwendigerweise durch die Augen ihrer jeweiligen Stufe interpretieren. Dies ergibt auf der folgenden Abbildung eine Matrix von 6 X 4 = 24 Typen spiritueller Erfahrung




Beispiele für Typen spiritueller Erfahrungen auf der W-C Matrix

In "The Integral Vision" (2007) gibt Wilber das Beispiel eines Protestanten, der eine subtile Gipfelerfahrung hat, bei der ihm eine leuchtende Wolke weißen Lichts begegnet, die wie eine Person oder ein Wesen erscheint. Dieser Mensch wird seine Erfahrung notwendigerweise in den Begriffen seiner Tradition und von der Ebene, auf der sein Selbstempfinden gewöhnlich verortet ist, interpretieren, d.h in diesem Fall als Erscheinung von Jesus Christus.
Ist er auf der magischen Stufe des Bewusstseins, so ist interpretiert er es als magischen Christus, der über das Wasser gehen, die Toten wieder auferstehen und Wasser in Wein verwandeln kann.

Ist er auf der mythischen Stufe des Bewusstseins, so ist interpretiert er es als Christus, den Geber der ewigen Gesetze, den Bringer der volkommenen Erlösung - sofern man die Mythen und Dogmen glaubt, die Regeln der Gebote befolgt, die er den auserwählten Menschen in dem einzig wahren Buch (der Bibel) gegeben hat. Eine mystische Erfahrung wie beschrieben bringt hier die absolute Gewißheit mit sich, dass man Jesus Christus erfahren hat (was durchaus wahr ist) - wodurch man sich als Christ auf dieser Ebene vielleicht darin bestärkt sieht, andere Menschen davon überzeugen zu wollen, dass Jesus 'der eine wahre Weg' ist - was lediglich die begrenzte Interpretation auf dieser Stufe des Bewusstseins darstellt.

Auf der rationalen Stufe hingegen erscheint Jesus als universeller Humanist - nichtsdestotrotz göttlich - der weltzentrische Liebe und Moral lehrt und der die Erlösung nicht nur im Himmel, sondern bis zu einem gewissen Grad auch schon hier auf Erden, in diesem Leben bringen kann.

Auf der pluralistischen Stufe sieht Christus vielleicht wie einer von vielen, gleichwertigen spirituellen Lehrern aus, was bedeutet, dass er für mich die vollständige Erlösung sein kann, weshalb ich auch leidenschaftlich an ihn glaube, doch andere Individuen und Kulturen mögen andere spirituelle Wege als besser für sich empfinden - alles in dem Bewusstsein, dass alle echten spirituellen Wege, wenn sie tief genug gehen, die gleiche Erlösung oder Befreiung bieten können.

Auf der integralen Stufe sieht Jesus eher wie eine Manifestation desselben Christus-Bewusstseins aus, zu dem jeder vollständigen Zugang gewinnen kann, weshalb Jesus eine Art Enblem für ein transformatives Bewusstsein ist, das jeder Person offenbart, dass sie Teil eines gewaltigen Systems dynamischer, flüssiger und einander durchdringender Prozesse ist, das uns alle in seinen strahlenden Wogen umfässt.

Anders gesagt: die Zustandserfahrung wird, zum Teil,  entsprechend der Stufe interpretiert, auf der man sich befindet. Es gibt einen magischen Christus, einen mythischen Christus, einen rationalen Christus, einen pluralistischen Christus einen integralen Christus, usw.


Gleiches gilt für die Anhänger anderer Traditionen, die die Art ihrer Zustandserfahrung (naturmystisch, gottheitsmystisch, formlos, nondual) in die jeweiligen Begriffe ihrer Stufe des Bewusstseins kleiden.

Aber auch wenn man keiner Tradition angehört, dann wird eine Einheitserfahrung, z.B. eine naturmystische Erfahrung bei einem Spaziergang, immer mit den Mitteln der entsprechenden Stufe interpretiert, auf der man sich befindet. Ein atheisetischer Mensch auf der rationalen Ebene wird vielleicht denken, dass er einen merkwürdigen Aussetzer gehabt hat, bzw. dass seine Hirnchemie zeitweilig durcheinander geraten ist.

Dieselbe naturmystische Einheitserfahrung auf der magisch-egozentrischen Ebene kann zu Omnipotenzphantasien führen, bzw. vorhandene verstärken.

Zustandstraining als Mittel zur Beschleunigung der Strukturentwicklung?

Generell gesprochen ist es so, dass Zustände, die man auf der gegenwärtigen Ebene nicht in sein Weltbild einpassen kann "'Schwangerschaftsstreifen' auf deinem Geist hinterlassen ", wie Wilber sagt. Aus diesem Grund nimmt Wilber an, dass meditatives/ kontemplatives Zustandstraining tendenziell die vertikale Strukturentwicklung beschleunigt.

Ein Gegenbeispiel könnte allerdings aus der Zen-Tradition zitiert werden. Im Buch "Zen at War" beschreibt Brian Victoria die nationalistischen Wertehaltungen vieler anerkannter und völlig erleuchteter japanischer Zen-Meister während des zweiten Weltkriegs. Trotz mehr oder weniger vollendetem Zustandstraing interpretierten diese Zen-Meister die polititschen Ereignisse aus ihrer mythisch-traditionalistischen Stufe des Bewusstseins und befürworteten die Verbrechen des Krieges unter Berufung auf die buddhistische Lehre.

Hier zeigt sich, was Wilber an anderer Stelle betont, nämlich, dass die verfügbaren Interpretationen des UL Quadranten (innerlich - kollektiv), die individuelle Interpretation ebenfalls beeinflussen. Sind das in diesem Fall nur mythisch-nationalistische, so werden sie auf diese eigentümliche Weise miteinander verbunden, die westliche (pluralistische) Praktizierende des Buddhismus zutiefst verstören.

Evolutionäre Erleuchtung

Zudem wird offenbar, dass Erleuchtung selbst sich weiter entwickelt. Die Erleuchtung zu Zeiten, wo die mythisch-traditionalistische Struktur die höchste Warte war, von der aus man seinen Zustand interpretieren konnte, ist in post-/modernen Zeiten hoffnungslos veraltet. Neue Interpretationen und Weltsichten haben sich entwickelt und vollständige Erleuchtung bedeutet, dass man auch mit diesen neuen Strukturen des Bewusstseins eins ist.