John Dupuy
Übersetzung aus dem Englischen: Dennis Wittrock
Meine Reise der Entwicklung eines integralen Ansatzes für die Behandlung von Alkohol- und Drogensucht begann im Frühjahr 2003, als ich zum ersten Mal Ken Wilbers AQAL Modell kennen lernte. Zuvor hatte ich viele Jahre damit zugebracht, mit Süchtigen und ihren Familien zu arbeiten und bessere Behandlungsmodelle zu entwickeln.
Die Branche, in der ich arbeitete, war die Wildnistherapie in den Vereinigten Staaten, wo Jugendliche und Erwachsene für durchschnittlich 2 Monate in die Wildnis gebracht werden, um spezifische therapeutische Ziele zu erreichen. Die Zahlen der häufigsten Programme zeigten, dass ganze 85-90 % der gegenwärtigen Probleme der Klienten mit Drogen und Alkohol zutun hatten. Während einige der Klienten gerade eine Zeit der Rebellion und des Drogen- und Alkoholmissbrauches durchmachten, waren viele bereits klinisch abhängig von diesen Substanzen. Damals wurde mir klar, dass ich entweder einen besseren Weg finden musste, um mit diesen Problemen umzugehen, oder dass ich meinen Rucksack an den Nagel hängen und mir einen anderen Job suchen konnte.
Obwohl behauptet wird, dass Suchterkrankungen das Gesundheitsproblem Nummer 1 in den USA sind, sind bisher kaum Mediziner und Therapeuten für die Behandlung von Suchtkrankheiten ausgebildet. Als Genesungs-„Experte“ galt oftmals schon jemand, der einmal selbst ein Abhängiger gewesen war und es geschafft hatte, von seiner Sucht loszukommen, gewöhnlich unter der Schirmherrschaft der Anonymen Alkoholiker (A.A.). Ein genesener Süchtiger zu sein ist eine hilfreiche Perspektive, doch man qualifiziert dadurch nicht mehr als Genesungsexperte, als z. B. ein Kind bekommen zu haben einen zum Geburtshelfer qualifiziert. Selbst die Grundfaktoren eines Suchtverhaltens schienen unseren Ärzten nicht bekannt zu sein, wie das Beispiel der Verschreibung von Schmerzmitteln illustriert. Dies kann für einen Substanzabhängigen extrem gefährlich sein und zu einem Rückfall und sogar zum Tod führen. In diesem dunkle Tal wanderten wir also dahin – Seite an Seite mit ziemlich fundamentalistisch-religiösen A.A. Anhängern und ignoranten Medizinern: in überfüllte Gefängnisse, deren Insassen zu 80% aufgrund von Drogen- und alkoholbezogener Delikte einsitzen.
Das wäre genug, um einen Menschen in die Verzweiflung zu treiben, dennoch machte ich weiter, und der große Durchbruch kam dann 2003, durch die Webseite www.integralnaked.org, auf der ich ein 40-seitiges PDF von Ken fand mit dem Titel Einführung in integrale Theorie und Praxis: IOS Grundlagen und die AQAL Landkarte. Schlagartig hatte ich eine dieser schaulogischen Erfahrungen, in der ich das Ganze klar und deutlich vor meinem geistigen Auge stehen sah: Ich verstand nicht nur die AQAL Landkarte, sondern ich verstand die Krankheit der Sucht auf eine Weise wie nie zuvor, sogar nach Jahren der Arbeit mit Hunderten Süchtigen und deren Familien. Diese Erfahrung revolutionierte nicht nur mein Verständnis von Sucht, sondern brachte mich auch auf den Pfad eines ernsthaft Übenden der Integralen Lebenspraxis. Ich wusste intuitiv, dass – sofern diese Vision einer integralen Suchtgenesung reifen sollte – sie sich nur auf eine völlig integrale Weise entfalten könnte, gegründet auf eine wirkliche Praxis. Im Folgenden nun eine kurze Übersicht über Integrale Suchtgenesung und über die bisherigen Lernerfahrungen.
Man kann keinen Schaden in einem Quadranten anrichten, ohne den anderen drei ebenfalls Schaden zuzufügen. Umgekehrt hilft jeglicher Fortschritt in einem der Quadranten, alle anderen mit emporzuheben und zu heilen. Daher muss in einem integralen Behandlungsprogramm mit allen vier Quadranten gearbeitet werden. Jegliches Behandlungsprogramm, das nicht alle vier Quadranten wirkungsvoll anspricht, ist einseitig und letztendlich ineffektiv.
Ginge es in der AQAL Landkarte lediglich um die vier Quadranten, wäre das immer noch genug, um eine Revolution unseres Ansatzes der Suchtbehandlung auszulösen und viele große Brüche und Risse zu heilen. Doch es kommt noch besser. Viel besser.
Das Linien-Element der AQAL-Landkarte zeigt uns sehr genau, welche großen Teile des Selbst-Systems trainiert und entwickelt werden müssen, um Nüchternheit und optimale Gesundheit zu erreichen. Eine integrale Lebenspraxis (oder eine integrale Genesungspraxis) wird zum Vehikel, um diese Ziele durch Fokussierung auf die vier essentiellen Linien (oder „Haupt-Module“) von Körper, Geist, Herz und Seele zu erreichen. Ein integrales Behandlungszentrum ist letztendlich ein Trainingszentrum: ein Ort wo der Patient lernt, wie man praktiziert und die Disziplin und den Antrieb entwickelt, um eine ILP im eigenen Leben zu implementieren. Das bedeutet körperliche Ertüchtigung, Ernährung, Meditation, Schattenarbeit und Arbeit mit der Freisetzung von Emotionen, sowie fortgesetzte Studien und Lernen. Die Praxis wird so die Achse, auf der das Leben wieder anfängt, sich zu drehen und zu funktionieren. Für integrale Suchtgenesung beginnt der Rückfall tatsächlich bereits in dem Moment, wo jemand seine Praxis unterbricht, noch lang bevor irgendeine Droge eingenommen wird. Genauso wie die Suchterkrankung chronisch ist und ein Leben lang anhält, ebenso muss die Hingabe an die Praxis eine lebenslange sein. Es ist offensichtlich, dass dies eine Anleitung zum Erfolg und Glücklichsein für jedermannist, nicht bloß für einen Suchtkranken. Doch für den Süchtigen wird es zum Überlebensimperativ, nicht bloß eine Frage des Lifestyles. Damit AQAL als wahrer psychoaktiver Katalysator dienen kann, der uns von einem kognitiven (Zweiten-Rang) Denken zu einer verkörperten (Dritten-Rang) Ebene der Entwicklung bringt, müssen wir vom Sofa hochkommen, auf unsere Meditationskissen setzen und uns ins Fitnessstudio gehen und so praktizieren, als ob die Zukunft davon abhinge, indem wir persönlich Verantwortung für unser Wachstum und für unsere Entwicklung übernehmen.
Eine detaillierte Behandlung von Spiral Dynamics und Ken Wilbers eigener Karte der Entwicklung würden den Rahmen dieses Artikels sprengen. Doch vereinfacht gesagt lässt sich beobachten, dass, während die Krankheit der Sucht fortschreitet, der Süchtige, welche Entwicklungshöhe er auch immer vorher erlangt hatte, z.B. ethnozentrisch oder weltzentrisch, zu einer sehr ungesunden egozentrischen Stufe regrediert, wo das Einzige, das zählt, das süchtige Selbst ist und die Bemühung, high zu bleiben ist. Auf dieser Stufe ist der Süchtige bereit, nahezu alles zu tun, um die fortdauernde Versorgung mit der Droge sicherzustellen. Der Ort der Kontrolle im Süchtigen bewegt sich von dem höher entwickelten Neokortex zum basalen Reptilien-Hirnstamm. Das überwältigende Verlangen nach der Droge wird vom Gehirn des Süchtigen als notwendig für das nackte Überleben interpretiert. Alle anderen höheren menschlichen Werte und Bestrebungen werden unterdrückt und zurück bleibt ein Süchtiger, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat und Sklave eines übermächtigen Meisters ist: dem Verlangen nach der begehrten Substanz. Hier herrscht wieder das Gesetz des Dschungels und 100.000 Jahre menschlicher Moralentwicklung werden der Gier preisgegeben.
Entwicklungslandkarten zu besitzen und zu verwenden, um diesen Abstieg in die Hölle, sowie den Ausweg daraus aufzuzeichnen, ist eine revolutionäre neue Perspektive. Bald nachdem die Arbeit der Heilung und Transformation begonnen hat, wird die Wahrheit des „Ich bin ein Süchtiger“ zu „Ich habe eine Sucht“, während das ehemalig kontrollierende Sucht-Selbst transzendiert wird von einem auf einer höheren Ebene auftauchenden gesunden Selbst. Die Sucht wird zu einem weiteren Objekt im Gewahrsein, mit dem geschickt umgegangen werden muss. Irgendwo in diesem Prozess transformiert sich das Ziel der integralen Suchtgenesung jenseits des Erreichens von Nüchternheit zu einem Streben, sein bestes und wahrsten Selbst zu werden. Ziel der Praxis ist nicht länger das nackte Überleben oder das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern, sondern Selbst-Verwirklichung in der relativen Welt und Selbst-Realisierung in der zeitlosen Gegenwart.
Wir verwenden dabei Methoden wie Genpo Roshis Big Mind Training und die binaurale Gehirntraining-Technologie von Holosync. Unsere Klienten lernen schnell, wie sie in Zustände der tiefen Meditation und Kontemplation eintreten können und wie sie negative Emotionen, vergangene Traumata und negative Geschichten, die sie sich über sich selbst, über andere und die Wirklichkeit gebildet haben, auflösen und loslassen können. Währenddessen entwickeln sie zusätzlich die Fähigkeit, im immer schon gegenwärtigen Zeugen zu ruhen, sowie einen Zugang zu Zuständen von gesteigerter Kreativität und Problemlösefähigkeit zu finden. Somit werden Probleme, die zuvor vielleicht als unlösbar erschienen, von einer höheren Ebene und aus unterschiedlichen Perspektiven aufgelöst.
Schließlich lassen wir auch noch nach Wilbers Modell Typen einfließen: Zuerst männlich und weiblich und später verschiedene andere Typologien, wie das Enneagramm oder Meyers-Briggs. Auch hierzu könnte außerordentlich viel gesagt werden, doch es genügt festzustellen, dass wir durch die Berücksichtigung der Typen in unserem integralen Genesungsmodell Raum für eine größere Sensibilität und Geschicklichkeit schaffen. So besagt z.B. eine feministische Kritik der A.A., dass dieses Programmfür die Männer einer erfolgreichen weißen Oberschicht-Männer konzipiert wurde, und dass seine Betonung auf Ego-Deflation nicht so hilfreich ist, wenn man mit anderen Typen von Suchtkranken umgeht. Die Straßenprostituierte, die ebenfalls suchtkrank ist, benötigt oftmals viel mehr den Wiederaufbau des Egos und Unterstützung statt Ego-Deflation.
Kurz gesagt, was Integrale Suchtgenesung und die AQAL Landkarte uns ermöglichen, ist, alle essentiellen Faktoren zu erfassen, so dass im Dienste unserer Patienten und ihrer Suche nach Heilung und Gesundheit kein Stein zurückbleibt, der nicht umgedreht worden wäre.
Quelle: integrale perspektiven, Nr. 9, September 2008
Obwohl behauptet wird, dass Suchterkrankungen das Gesundheitsproblem Nummer 1 in den USA sind, sind bisher kaum Mediziner und Therapeuten für die Behandlung von Suchtkrankheiten ausgebildet. Als Genesungs-„Experte“ galt oftmals schon jemand, der einmal selbst ein Abhängiger gewesen war und es geschafft hatte, von seiner Sucht loszukommen, gewöhnlich unter der Schirmherrschaft der Anonymen Alkoholiker (A.A.). Ein genesener Süchtiger zu sein ist eine hilfreiche Perspektive, doch man qualifiziert dadurch nicht mehr als Genesungsexperte, als z. B. ein Kind bekommen zu haben einen zum Geburtshelfer qualifiziert. Selbst die Grundfaktoren eines Suchtverhaltens schienen unseren Ärzten nicht bekannt zu sein, wie das Beispiel der Verschreibung von Schmerzmitteln illustriert. Dies kann für einen Substanzabhängigen extrem gefährlich sein und zu einem Rückfall und sogar zum Tod führen. In diesem dunkle Tal wanderten wir also dahin – Seite an Seite mit ziemlich fundamentalistisch-religiösen A.A. Anhängern und ignoranten Medizinern: in überfüllte Gefängnisse, deren Insassen zu 80% aufgrund von Drogen- und alkoholbezogener Delikte einsitzen.
Das wäre genug, um einen Menschen in die Verzweiflung zu treiben, dennoch machte ich weiter, und der große Durchbruch kam dann 2003, durch die Webseite www.integralnaked.org, auf der ich ein 40-seitiges PDF von Ken fand mit dem Titel Einführung in integrale Theorie und Praxis: IOS Grundlagen und die AQAL Landkarte. Schlagartig hatte ich eine dieser schaulogischen Erfahrungen, in der ich das Ganze klar und deutlich vor meinem geistigen Auge stehen sah: Ich verstand nicht nur die AQAL Landkarte, sondern ich verstand die Krankheit der Sucht auf eine Weise wie nie zuvor, sogar nach Jahren der Arbeit mit Hunderten Süchtigen und deren Familien. Diese Erfahrung revolutionierte nicht nur mein Verständnis von Sucht, sondern brachte mich auch auf den Pfad eines ernsthaft Übenden der Integralen Lebenspraxis. Ich wusste intuitiv, dass – sofern diese Vision einer integralen Suchtgenesung reifen sollte – sie sich nur auf eine völlig integrale Weise entfalten könnte, gegründet auf eine wirkliche Praxis. Im Folgenden nun eine kurze Übersicht über Integrale Suchtgenesung und über die bisherigen Lernerfahrungen.
Genauso wie die Suchterkrankung chronisch ist und ein Leben lang dauert, ebenso muss die Hingabe an die Praxis eine lebenslange sein.
Ein Grundverständnis von AQAL darf hier vorausgesetzt werden. Grundsätzlich verwenden wir die vier Quadranten als ein diagnostisches Werkzeug .So finden wir z.B. im oberen rechten Quadranten (Es) oftmals ein beträchtliche Schädigung, die dem Gehirn und somit dem physischen Körper des Süchtigen angetan wurde. Daher müssen wir in therapeutischer Hinsicht wiederherstellende Maßnehmen ergreifen, um den grobstofflichen Schaden, der durch die Krankheit angerichtet wurde, heilen und ausgleichen zu helfen. Das bedeutet körperliches Training, Nahrungsergänzung, eine gesunde Ernährung, Yoga, Körper-Arbeit und bin-aurales Hirn-Training durch technisch unterstützte Meditation (z.B. Holosync). Im oberen linken Quadranten (Ich) herrscht eine Menge mentales Chaos, Wut, Angst, Depression, Hass auf andere und Selbsthass, usw.. Diese innerlichen Erfahrungen müssen gleichermaßen als Symptome und als auslösende Faktoren behandelt werden, durch individuelle und Gruppentherapie, Meditation, Schattenarbeit, Trauma-Arbeit, sowie durch kognitives Lernen über die Krankheit der Sucht und die integrale Landkarte. Im unteren linken Quadranten (Wir) gibt es gewöhnlich eine Verwüstung nahezualler Beziehungen des Patienten, aufgrund seines negativen Verhaltens, ausgelöst durch fortschreitende Krankheit. In dieser Dimension gibt es einen Bedarf an Familientherapie, Paartherapie, um das zerfetzte soziale Gewebe so gut es geht wieder herzustellen. Im unteren rechten Quadranten (Es plural) gibt es oftmals rechtliche, finanzielle und andere System-bezogene Probleme, die angegangen werden müssen.Man kann keinen Schaden in einem Quadranten anrichten, ohne den anderen drei ebenfalls Schaden zuzufügen. Umgekehrt hilft jeglicher Fortschritt in einem der Quadranten, alle anderen mit emporzuheben und zu heilen. Daher muss in einem integralen Behandlungsprogramm mit allen vier Quadranten gearbeitet werden. Jegliches Behandlungsprogramm, das nicht alle vier Quadranten wirkungsvoll anspricht, ist einseitig und letztendlich ineffektiv.
Ginge es in der AQAL Landkarte lediglich um die vier Quadranten, wäre das immer noch genug, um eine Revolution unseres Ansatzes der Suchtbehandlung auszulösen und viele große Brüche und Risse zu heilen. Doch es kommt noch besser. Viel besser.
Das Linien-Element der AQAL-Landkarte zeigt uns sehr genau, welche großen Teile des Selbst-Systems trainiert und entwickelt werden müssen, um Nüchternheit und optimale Gesundheit zu erreichen. Eine integrale Lebenspraxis (oder eine integrale Genesungspraxis) wird zum Vehikel, um diese Ziele durch Fokussierung auf die vier essentiellen Linien (oder „Haupt-Module“) von Körper, Geist, Herz und Seele zu erreichen. Ein integrales Behandlungszentrum ist letztendlich ein Trainingszentrum: ein Ort wo der Patient lernt, wie man praktiziert und die Disziplin und den Antrieb entwickelt, um eine ILP im eigenen Leben zu implementieren. Das bedeutet körperliche Ertüchtigung, Ernährung, Meditation, Schattenarbeit und Arbeit mit der Freisetzung von Emotionen, sowie fortgesetzte Studien und Lernen. Die Praxis wird so die Achse, auf der das Leben wieder anfängt, sich zu drehen und zu funktionieren. Für integrale Suchtgenesung beginnt der Rückfall tatsächlich bereits in dem Moment, wo jemand seine Praxis unterbricht, noch lang bevor irgendeine Droge eingenommen wird. Genauso wie die Suchterkrankung chronisch ist und ein Leben lang anhält, ebenso muss die Hingabe an die Praxis eine lebenslange sein. Es ist offensichtlich, dass dies eine Anleitung zum Erfolg und Glücklichsein für jedermannist, nicht bloß für einen Suchtkranken. Doch für den Süchtigen wird es zum Überlebensimperativ, nicht bloß eine Frage des Lifestyles. Damit AQAL als wahrer psychoaktiver Katalysator dienen kann, der uns von einem kognitiven (Zweiten-Rang) Denken zu einer verkörperten (Dritten-Rang) Ebene der Entwicklung bringt, müssen wir vom Sofa hochkommen, auf unsere Meditationskissen setzen und uns ins Fitnessstudio gehen und so praktizieren, als ob die Zukunft davon abhinge, indem wir persönlich Verantwortung für unser Wachstum und für unsere Entwicklung übernehmen.
Eine detaillierte Behandlung von Spiral Dynamics und Ken Wilbers eigener Karte der Entwicklung würden den Rahmen dieses Artikels sprengen. Doch vereinfacht gesagt lässt sich beobachten, dass, während die Krankheit der Sucht fortschreitet, der Süchtige, welche Entwicklungshöhe er auch immer vorher erlangt hatte, z.B. ethnozentrisch oder weltzentrisch, zu einer sehr ungesunden egozentrischen Stufe regrediert, wo das Einzige, das zählt, das süchtige Selbst ist und die Bemühung, high zu bleiben ist. Auf dieser Stufe ist der Süchtige bereit, nahezu alles zu tun, um die fortdauernde Versorgung mit der Droge sicherzustellen. Der Ort der Kontrolle im Süchtigen bewegt sich von dem höher entwickelten Neokortex zum basalen Reptilien-Hirnstamm. Das überwältigende Verlangen nach der Droge wird vom Gehirn des Süchtigen als notwendig für das nackte Überleben interpretiert. Alle anderen höheren menschlichen Werte und Bestrebungen werden unterdrückt und zurück bleibt ein Süchtiger, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat und Sklave eines übermächtigen Meisters ist: dem Verlangen nach der begehrten Substanz. Hier herrscht wieder das Gesetz des Dschungels und 100.000 Jahre menschlicher Moralentwicklung werden der Gier preisgegeben.
Entwicklungslandkarten zu besitzen und zu verwenden, um diesen Abstieg in die Hölle, sowie den Ausweg daraus aufzuzeichnen, ist eine revolutionäre neue Perspektive. Bald nachdem die Arbeit der Heilung und Transformation begonnen hat, wird die Wahrheit des „Ich bin ein Süchtiger“ zu „Ich habe eine Sucht“, während das ehemalig kontrollierende Sucht-Selbst transzendiert wird von einem auf einer höheren Ebene auftauchenden gesunden Selbst. Die Sucht wird zu einem weiteren Objekt im Gewahrsein, mit dem geschickt umgegangen werden muss. Irgendwo in diesem Prozess transformiert sich das Ziel der integralen Suchtgenesung jenseits des Erreichens von Nüchternheit zu einem Streben, sein bestes und wahrsten Selbst zu werden. Ziel der Praxis ist nicht länger das nackte Überleben oder das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern, sondern Selbst-Verwirklichung in der relativen Welt und Selbst-Realisierung in der zeitlosen Gegenwart.
Wir verwenden dabei Methoden wie Genpo Roshis Big Mind Training und die binaurale Gehirntraining-Technologie von Holosync. Unsere Klienten lernen schnell, wie sie in Zustände der tiefen Meditation und Kontemplation eintreten können und wie sie negative Emotionen, vergangene Traumata und negative Geschichten, die sie sich über sich selbst, über andere und die Wirklichkeit gebildet haben, auflösen und loslassen können. Währenddessen entwickeln sie zusätzlich die Fähigkeit, im immer schon gegenwärtigen Zeugen zu ruhen, sowie einen Zugang zu Zuständen von gesteigerter Kreativität und Problemlösefähigkeit zu finden. Somit werden Probleme, die zuvor vielleicht als unlösbar erschienen, von einer höheren Ebene und aus unterschiedlichen Perspektiven aufgelöst.
Schließlich lassen wir auch noch nach Wilbers Modell Typen einfließen: Zuerst männlich und weiblich und später verschiedene andere Typologien, wie das Enneagramm oder Meyers-Briggs. Auch hierzu könnte außerordentlich viel gesagt werden, doch es genügt festzustellen, dass wir durch die Berücksichtigung der Typen in unserem integralen Genesungsmodell Raum für eine größere Sensibilität und Geschicklichkeit schaffen. So besagt z.B. eine feministische Kritik der A.A., dass dieses Programmfür die Männer einer erfolgreichen weißen Oberschicht-Männer konzipiert wurde, und dass seine Betonung auf Ego-Deflation nicht so hilfreich ist, wenn man mit anderen Typen von Suchtkranken umgeht. Die Straßenprostituierte, die ebenfalls suchtkrank ist, benötigt oftmals viel mehr den Wiederaufbau des Egos und Unterstützung statt Ego-Deflation.
Kurz gesagt, was Integrale Suchtgenesung und die AQAL Landkarte uns ermöglichen, ist, alle essentiellen Faktoren zu erfassen, so dass im Dienste unserer Patienten und ihrer Suche nach Heilung und Gesundheit kein Stein zurückbleibt, der nicht umgedreht worden wäre.
Quelle: integrale perspektiven, Nr. 9, September 2008