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Dieser Kommentar wurde inspiriert durch Jeff Salzmans Podcast: What Jordan Peterson (and His Fans and Foes) Can Learn from Integral Theory

Jordan Peterson und Ken Wilber sind sowohl Kartographen als auch populäre Philosophen mit wissenschaftlichem Hintergrund, die über Religion in einer postmodernen Weise gesprochen haben. Gleichzeitig haben beide Männer eine starke Kritik an den eher pathologischen Aspekten der Postmoderne geübt und haben über den ‚Schatten‘ vom Materialismus, Feminismus und ‚social justice‘ innerhalb der postmodernen Sichtweise gesprochen. Und wegen ihrer starken polemischen Positionen – und manchmal übertriebener Vereinfachungen – werden sie sowohl geliebt als auch gehasst.

Peterson wurde als reiner ‚Selbstverbesserungs‘-Autor bezeichnet, um seine wirkliche Ernsthaftigkeit als Denker zu minimieren – wenn er nicht gerade als faschistisch bezeichnet wird – und dies trotz der Tatsache, dass er seine ganze Karriere lang über die Gefahren des Faschismus aufmerksam gemacht und gelehrt hat. Ebenso wird Ken Wilber normalerweise als ‚New Age Guru‘ abgetan, obwohl er New Age stark kritisiert. Die Tatsache, dass sich seine Bücher so gut verkaufen, veranlasst einige Akademiker, ihn als einen geringeren Denker zu betrachten, was meiner Meinung nach nicht der Fall ist. Auf jeden Fall haben beide Männer massiv zum Diskurs und zur Kultur im Allgemeinen beigetragen, und beide haben eine evolutionäre Sichtweise auf Wissenschaft und Religion. Wie unterscheiden sie sich also?

Im vergangenen Jahr habe ich Peterson aus vielen Gründen verteidigt, nicht zuletzt wegen der lächerlichen Fehleinschätzung seines Werkes als ‚alt-right‘. Aber jetzt, da Peterson auch im Mainstream bekannt ist – und sozusagen ‚größer als Jesus‘ ist – muss er nicht mehr verteidigt werden. Deshalb möchte ich eine respektvolle Kritik an einigen seiner Ansichten äußern. Ich tue das nur ungern, denn ich denke, dass seine Arbeit von unermesslicher Bedeutung ist. Ich habe Peterson in meinen früheren Essays gelobt und wurde im Übrigen beschuldigt, ein ‚Jünger‘ von ihm zu sein. Ich habe wahrscheinlich einige Progressive dazu gebracht, empfindlich zu reagieren, als ich sagte, dass Peterson eine der wenigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist, die ‚vom Heiligen Geist entzündet ist‘. Aber ich stehe zu diesem altmodischen Ausdruck.
Ich habe viele Kritiken von Peterson gehört und gelesen, von denen nur sehr wenige unparteiisch, fair oder verständnisvoll waren – geschweige denn weise oder mitfühlend. Eine, die in diese letztere Kategorie fällt, ist von Jeff Salzman in seinem Podcast ‚The Daily Evolver‘. Salzman analysiert Petersons Ideen anhand des ‚integralen‘ Modells von Ken Wilber. ‚Integral' ist eine Theorie, die versucht, alles im Bewusstsein so abzubilden, aber auf eine Weise, dass das Baby nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird. Natürlich ist das integrale Modell komplex und ich kann ihm hier nicht gerecht werden. Aber ich kann sagen, dass die Integration von Wissenschaft und Seele grob gesagt auch Petersons Hauptanliegen ist – vor allem in seinem wegweisenden Buch ‚Maps of Meaning‘.

Mir gefiel Salzmans Kritik an Peterson aus mehreren Gründen, auch wenn er sich nicht so tief in Petersons komplexeres Werk vertieft hat. Vor allem wegen seines ‚Tons‘. Salzman schlägt nicht hysterisch vor Angst und Verachtung um sich, er ist nicht im Geringsten abweisend oder herablassend. Er tut, was Peterson von uns verlangt, nämlich die ‚Spreu vom Weizen zu trennen‘. Peterson mag Recht haben, wenn es darum geht, die Invasion der französischen Theorie im Bildungswesen und die daraus resultierende Verschlechterung der Geisteswissenschaften zu bekämpfen. Wir müssen zu einer traditionellen Sichtweise von Bildung zurückkehren und nach dem leben, was im Tempel von Apollo im Delphischen Orakel geschrieben wurde: Erkenne dich selbst. Wir müssen den Menschen das Lesen, Schreiben, Denken und Sprechen beibringen – und nicht nur, jargon-gesteuerte, überempfindliche ‚Snowflakes‘ und verwundete ‚Social Justice Warriors‘ zu werden.

Salzmans Punkt ist jedoch, dass es auch eine tugendhafte Seite der Postmoderne mit ihren leicht zu entlarvenden Pathologien gibt. Er meint, dass Peterson sowohl Recht als auch Unrecht in Bezug auf die Postmoderne hat. Mit Postmoderne meine ich natürlich nicht unbedingt nur den ‚französischen Dekonstruktivismus‘ und seine begleitenden Theorien, sondern den gesamten Zeitgeist der 1960er Jahre mit seinen schönen und schrecklichen Exzessen und wie er sich heute in der Gesellschaft auswirkt. Peterson – und Wilber vor 20 Jahren – haben Recht, kritisch gegenüber einer Kultur des Nihilismus und Narzissmus zu sein, die über Menschenrechte spricht, aber nicht über menschliche Verantwortung. Ich stimme Salzman nicht zu, dass Peterson ein Panikmacher ist – die Gefahren und Pathologien der Postmoderne sind real und Peterson hat sie sehr gut formuliert. Aber ich stimme zu, dass es etwas gibt, das Peterson auslässt.
Nehmen wir die politische Korrektheit, die nicht erst gestern von ‚Snowflakes‘ oder ‚Social Justice Warriors‘ erfunden wurde. Salzman weist zu Recht darauf hin, dass es in allen wichtigen Phasen der gesellschaftlichen Evolution politische Korrektheit – oder extreme Orthodoxie – gegeben hat. Zum Beispiel war es in manchen traditionellen Gesellschaft politisch falsch, den König zu beleidigen, und man könnte dafür gehängt werden. In einem modernen Umfeld kann man sein Forschungsstipendium verlieren und von der Akademie exkommuniziert werden, wenn man sich nicht zu einer dogmatischen materialistischen Sichtweise bekennt. (Siehe Rupert Sheldrakes verbotenen Ted Talk). Und versuchen sie mal im postmodernen Milieu, zu einer Universitäts-Cocktailparty zu gehen und irgendeinen Aspekt der akzeptierten Klimawissenschaft oder des Feminismus zu kritisieren. Man wird gekreuzigt, nicht wahr?

Nun, eigentlich nicht. Man würde nicht gekreuzigt werden, nur sozial geächtet. Denn die Postmoderne ermöglicht in ihrer gesunden Ausprägung echte Toleranz. Es gibt zwar postmoderne Hexenjagden – aber sie verblassen neben traditionellen oder gar modernen Hexenjagden. Traditionelle und modernistische Gesellschaften strafen mehr als postmoderne Gesellschaften. Darüber hinaus wurden komplexe Systeme von schrecklichen Tabus und willkürlichen Strafen durch postmoderne Toleranz aufgebrochen. Natürlich besteht in einer relativistischen Gesellschaft die Gefahr des Chaos – aber die eigentliche Gefahr ist die Wiedereinführung des starren Traditionalismus. Im Allgemeinen ist es dem postmodernen Projekt gelungen, eine offenere Welt zu erschaffen. Das heißt nicht, dass die Postmoderne keine eigenen wahnsinnigen Orthodoxien hat – etwas, was Peterson wiederum brillant darlegt.
Wilber hat auch eine gute Kritik der Postmoderne, aber er betrachtet sie nicht als eine historische Verwirrung, sondern als eine notwendige und lebenswichtige Stufe der Evolution. Hier ist seine Kritik:
„Kurz gesagt, (Postmoderne/Pluralismus) glaubt, dass es allgemein wahr ist, dass es keine universellen Wahrheiten gibt; sie glaubt, dass ihre Sichtweise überlegen ist, aber sie glaubt auch, dass es nirgendwo überlegene Sichtweisen gibt. Dies wird als "performativer Widerspruch" bezeichnet, weil man selbst das tut, was man angeblich nicht tun kann oder soll.

Diese Sichtweise bewertet das Bewerten als schlecht; beurteilt Urteile als unterdrückend; macht ein sehr großes Bild darüber, warum große Bilder nicht möglich sind; behauptet, dass es allgemein wahr ist, dass es keine universellen Wahrheiten gibt; stellt Hierarchien auf die unterste Ebene ihrer jeweiligen Hierarchie; und behauptet, dass ihre Sicht in einer Welt, in der nichts als überlegen gilt, überlegen ist.“ Quelle: Wilber, Ken: The Religion of Tomorrow: A Vision for the Future of the Great Traditions

So weit, so gut. Peterson hat viele ähnliche Behauptungen aufgestellt. Es besteht die Gefahr einer totalitären Sichtweise im Namen der postmodernen Toleranz, eines neuen Maoismus, der bei seinem Versuch, Hierarchien abzubauen, am Ende mörderisch wieder eingesetzt wird. Petersons Mittel gegen die postmoderne Amnesie ist die ‚Rettung des Vaters‘, die Wiederentdeckung der Tradition und der individuellen und gesunden Kompetenzhierarchien. Er hat natürlich Recht. Aber das ist nur die Hälfte der Geschichte. Junge Menschen mögen traditionelle Werte vermissen und brauchen ‚Regeln‘ und verlieren sich in einem ‚Flachland‘ (Wilbers Begriff) des kulturellen Relativismus, aber sie sind auch die Nutznießer einer toleranteren, vielfältigeren und sanfteren Sicht auf die Menschen, als es je zuvor gegeben hat. Als Beispiel dafür ist das Beleidigen von Homosexuellen unter den Millennials nicht mehr akzeptabel – Homosexualität wird in einigen Kreisen nicht nur toleriert, sondern auch gefeiert. Das erscheint mir als eine außergewöhnliche Leistung.

Peterson's Anliegen, wie Salzman sagt, liegt in der Wiederentdeckung und Wiedereingliederung der Tradition. Er folgt der Maxime von TS Eliot: „Der Weg nach vorne ist der Weg zurück“. Aber der Weg nach vorne ist auch der Weg nach vorne. Die integrale Sichtweise sagt: Ja, wir müssen die Tradition retten und integrieren, aber auch sie transzendieren – ‚transzendieren und einbeziehen‘ in Wilbers Worten. Ja, in der Tat, wir müssen den Vater retten – aber wir müssen auch aus ihm herauswachsen. Und Peterson selbst verkörpert manchmal genau diese Postmoderne. Allein die Tatsache, dass er über Religion spricht, aber nicht in die Kirche geht, deutet auf eine gewisse postmoderne Freiheit hin, die Realität zu interpretieren. Mein Punkt ist: Man kann nicht wirklich über die Postmoderne hinausgehen, ohne zuerst ihre besten Aspekte (Pluralismus, Toleranz, Menschenrechte usw.) zu integrieren, sonst kann sich die eigene Sichtweise dem Reaktionär zuwenden.

Peterson ist kein Reaktionär; ab und an finde ich ihn unnötig konservativ. Warum unterstützt er die Homo-Ehe im 21. Jahrhundert nicht von ganzem Herzen? Was gibt es vor schwulen Menschen da zu fürchten, um Himmels willen! Salzman, ein schwuler Mann, hat in seinem Podcast darüber gesprochen, dass die homosexuelle Erfahrung in der Kultur bis vor kurzem völlig unterrepräsentiert war – er hat also einen guten Grund, die Postmoderne zu verteidigen. Ich behaupte nicht, dass Peterson in irgendeiner Weise bigott oder homophob ist – ich finde keinerlei Beweise dafür. Und doch kann es ein blinder Fleck in seinem Denken sein.

Jeff Salzman, als schwuler Mann, weist großzügig darauf hin, dass Peterson eine Menge Gutes für junge Männer tut, denen die Vorteile des Traditionalismus fehlen. Er versteht auch Petersons Kritik an den negativen Auswirkungen der Postmoderne, insbesondere auf junge Männer. Zu vielen Menschen wird heute gesagt, dass sie für alle Übel der Welt verantwortlich sind. Man sagt ihnen, dass Testosteron ein Gift ist, dass sie alle potenzielle Vergewaltiger sind, man lehrt sie, weich und nachgiebig zu sein, übermäßig entschuldigend – sie unterdrücken eine gewisse unzüchtige Männlichkeit, die nicht nur notwendig, sondern auch schön ist. Petersons Feier der Männlichkeit ist meiner Meinung nach vollkommen angemessen.

Salzman bemerkt auch Petersons ‚Sensibilität‘ – seine Emotionalität, die ab und an zum Vorschein kommt –, die ich in einer massenmedialen Welt aus körperlosen Intellektuellen als äußerst gesund empfinde. Petersons furchtlose Leidenschaft und Emotionalität ist einer der Gründe, warum die Leute ihn so sehr mögen. Aber ist seine Sensibilität nicht auch ein wenig ‚postmodern‘? Schließlich ist es nicht die Moderne (oder der rücksichtslose Kapitalismus), die die Menschen lehrte, sensibel zu sein. Peterson hat eine starke feminine Seite, eine fast mütterliche Zuneigung zu jungen Männern. Wie ich bereits in einem früheren Aufsatz gesagt habe: Er ist nicht so ‚binär‘ oder hyper-maskulin, und wer würde sich wünschen, dass er es ist. Er scheint gut mit gender-fluiden Typen wie Camille Paglia und Russell Brand zurechtzukommen.

Im integralen Entwicklungsstadium, so Wilber, ist man in der Lage, die Tugenden aller früheren Zustände wahrzunehmen, sie zu transzendieren und einzubeziehen. Aber bevor man dort ankommt, ist es fast unmöglich, die darüber liegende ‚höhere‘ Stufe zu verstehen. Wie sagt man einem Stammesangehörigen zum Beispiel, was eine Nation bedeutet? Oder ein Konservativer, warum die Schwulenehe eine gute Idee ist? Menschen in verschiedenen Entwicklungsstadien werden sich nicht verstehen! Ein Konservativer ist ein Außerirdischer zu einem Progressiven, und umgekehrt. In früheren Stufen kannst du nicht über deine eigene Orientierung hinausblicken, sei es prä-modern, traditionell, modern oder postmodern. Aber in Wilbers integraler Stufe (die er die zweite Ordnung nennt) ist man in der Lage, alle vorherigen Stufen zu integrieren. Zum Beispiel können Sie ein Umweltschützer sein und die Rechte von Homosexuellen unterstützen, und trotzdem ein orthodoxer Kirchenbesucher sein und Ihre Tradition respektieren – kein Problem. Und niemand wird Sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wenn Sie nicht in die Kirche gehen.

Im Idealfall hat man in der integralen Phase die Identitätspolitik, Ideologie und politische Korrektheit sowie alle totalitären Tendenzen der vorangegangenen Phasen wirklich überschritten – man hat die Spreu vom Weizen getrennt. Und die Postmoderne ist eine notwendige Etappe auf dem Weg dorthin, mit einer gesunden und pathologischen Seite. Hat Jeff Salzman Recht, wenn er sagt, dass Peterson nicht ganz bereit ist, den Postmodernismus zu integrieren, auch wenn er selbst in vielerlei Hinsicht recht postmodern ist? Das ist vielleicht nicht unbedingt eine ‚schlechte‘ Sache. Peterson bringt der Welt Gutes für diejenigen, die Regeln, Tradition und Ordnung in ihrem Leben brauchen – bevor sie in das fruchtbare Chaos der postmodernen Experimente eintauchen können.

Auf jeden Fall haben wir alle unseren Schatten oder toten Winkel. Was ist Petersons Schatten? Das Gold des Drachens, wie Peterson gesagt hat, ist an der letzten Stelle, an der man es suchen will. Der letzte Ort, an dem Peterson suchen will, ist in der postmodernen Welt, so konzentriert wie er ist, die Tradition und Vernunft zu retten, oder den Vater auf dem Meeresgrund.

Abschließend möchte ich sagen, dass dies meine Punktekarte ist: Als Kartograph und universeller Denker gewinnt Ken Wilber. Als Tiefenpsychologin und Kommunikator hat Jordan Peterson eine explosive Führung. Aber in der postmodernen Welt geht es ja nicht um Wettbewerb, oder? In einer integrierten Welt können wir jedoch diesen wetteifernden männlichen Geist genießen, ohne dabei chauvinistisch zu sein.