Logo Integral GlobalSabine Melchiori/Hardy Fürch

Die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen sind global in nie gekanntem Ausmaß gefährdet. Derzeit müssen sich 6,2 Milliarden Menschen die begrenzten Ressourcen teilen, 2030 werden es ca. 8 Milliarden sein. Das Bevölkerungswachstum einerseits und die neoliberal ausgerichtete und ökologisch eher destruktive Globalisierung andererseits führen zu einem exzessiven Verbrauch der Ressourcen der Erde. Wird dieser galoppierende Prozess nicht aufgehalten, wird ein Großteil aller Tier­ und Pflanzenarten in wenigen Jahren unwiederbringlich ausgerottet sein. Die Menschheit steht daher zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor ihrer bislang größten Herausforderung: die Biosphäre und damit ihre eigene Lebensgrundlage zu retten.

climate change

Obwohl die Problematik hinreichend bekannt ist und es in den Industrienationen bereits seit über 20 Jahren so etwas wie eine Umweltpolitik gibt, haben die bisherigen politischen Ansätze – zumindest aus globaler Sicht – nichts Grundlegendes bewirkt. Im Gegenteil: Die großen Schwellenländer wie China oder Brasilien trachten mehr denn je danach, den Lebensstil der Industrienationen zu kopieren. In Anbetracht der Errungenschaften wie die erfolgreiche Bekämpfung von Seuchen, Armut und Hunger ist diese Ausrichtung auf das westliche Vorbild durchaus verständlich. Andererseits müssten die negativen Seiten einer auf Erdöl und anderen fossilen Brennstoffen beruhenden Entwicklung auch den Verantwortlichen in den Schwellenländern offenkundig sein. Im Grunde befinden sie sich sogar wegen der offensichtlich zur Neige gehenden Erdölreserven in einem (scheinbar) unauflösbaren Dilemma; es sei denn, sie begreifen diese Begrenzung als Chance, um ganz neue Wege der Entwicklung zu beschreiten: das Zeitalter fossiler Brennstoffe zu überspringen hin zu einer nachhaltigen, ökologisch verantwortbaren Energie­ und Nahrungsmittelproduktion. Es ist deshalb für unseren Planeten von essenzieller Bedeutung, welchen Weg die Schwellenländer, in denen fast die Hälfte der Menschheit zurzeit mehr schlecht als recht lebt, einschlagen werden. Das Schicksal der Biosphäre entscheidet sich eher in Ländern wie China als in den westeuropäischen Staaten.

 

In den westlichen Industrienationen ist der Schutz der Umwelt inzwischen ein Mega­Thema. Materieller Wohlstand und Demokratie haben hier dazu geführt, dass über die materiellen Grundbedürfnisse hinaus sich eine zunehmende Sensibilisierung für die Umweltproblematik entwickeln konnte. So hat sich beispielsweise das drohende Schicksal der Eisbären – über einen temporären Medien­Hype hinaus – im Bewusstsein breiter Bevölkerungsteile verankert. Es ist jedoch zu befürchten, dass selbst angesichts des wachsenden Problembewusstseins weiterhin keine wirksamen global­politischen Strategien gegen den drohenden Kollaps der Biosphäre entwickelt werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig und lassen sich nach Meinung der Verfasser sehr gut mit Hilfe der integralen Philosophie analysieren, die im Folgenden kurz skizziert werden soll.

Wie der Name impliziert, ist ein Hauptmerkmal der integralen Philosophie, dass sie der Zerteilung und Spezialisierung entgegenwirkt und stattdessen auf der Basis vieler unterschiedlicher Wissensbereiche neue gemeinsame Strukturen erarbeitet, die aussagekräftige Einblicke in die Evolution von Bewusstsein und Kultur geben können. Dazu gehört die vielleicht revolutionäre Erkenntnis, dass sich Bewusstsein und Kultur durch eine Reihe aufsteigender, empirisch nachweisbarer Stufen oder Ebenen entwickelt haben. Dies ist nicht nur ein geschichtlich bedeutsames Faktum, sondern ermöglicht uns tiefe Einblicke in die Binnenstruktur unserer Gegenwartskultur, in der alle bisher emergierten Stufen der Bewusstseinsentwicklung nebeneinander existieren. Dazu der integrale Philosoph Steve McIntosh: Die Integrale Philosophie erkennt, dass diese Weltsichten oder Stufen lebende Systeme des Bewusstseins und der Kultur sind, die Form und Struktur besitzen. Wenn man die dialektischen Beziehungen zwischen diesen Stufen aufzeichnet, dann bilden sie das unverkennbare Muster einer Spirale oder Helix. Diese Entwicklungsspirale kann tatsächlich als eine lebende Struktur der Geschichte, als eine spiralförmige DNA unserer Kultur betrachtet werden.1

Es ist bemerkenswert, dass jede neue Stufe der kollektiven Bewusstseinsentwicklung und der Kultur nicht zuletzt durch die Politik bzw. die jeweilige politische Organisationsform abgesichert wird (vgl. Tabelle unten). So ist beispielsweise eine soziale und demokratische Verfassung politischer Ausdruck eines beginnenden postmodernen Bewusstseins. Ein integrales Politikverständnis bringt nicht nur die historischen Entwicklungsstufen in einen evolutionären Kontext, sondern zeigt überdies auf, inwieweit diese Stufen nach wie vor aktuell und einflussreich in der Welt sind.2

Integrale Politik nutzt die evolutionäre, sich an Stufen orientierende Sichtweise gezielt für politische Analysen und Konfliktlösungsstrategien, indem sie zunächst die zugrundeliegenden, meist unbewussten Werte einer Gesellschaft erkennt. In aller Kürze dargestellt, finden wir global gegenwärtig sechs markante Bewusstseinsstufen mit durchaus gegensätzlichen Werten und entsprechenden politischen Organisationsformen, die in der Weltbevölkerung in unterschiedlich starken Anteilen repräsentiert werden:3

BewusstseinsstufeZugrundeliegende WertePolitische OrganisationsformFarben gemäß Spiral Dynamics integral4
Stammesbewusstsein   Verwandtschaft, Loyalität, Aberglaube Stämme, Sippen (Tribalismus)    PURPUR
Kriegerbewusstsein Egozentrismus, Macht, Heroismus Frühe Imperien, (Banden) ROT
Traditionelles Bewusstsein Ethnozentrismus, Gesetz und Ordnung, starker Glaube an monotheistische Buchreligionen Feudalismus, Diktatur BLAU
Bewusstsein der Moderne Individualität, Vernunft, Leistung, Fortschrittsglaube, Wissenschaft und Technologie Demokratischer Kapitalismus, multi­ ethnischer Nationalstaat   ORANGE
Postmodernes Bewusstsein Weltzentrische Moral, Multikulturalismus, Umwelt­schutz, Menschenrechte, Feminismus, Spiritualität   Soziale Demokratie, selbstgesteuerte Gruppen GRÜN
Integrales Bewusstsein Wertschätzung für die Werte jeder vorhergehenden Stufe, Holismus, evolutionäre Spiritualität, Verantwortung Weltföderalismus, flexible Strukturen GELB/TÜRKIS

Es ist offensichtlich, dass die zugrundeliegenden Werte der einzelnen Bewusstseinsstufen sich sehr stark von den jeweils vorangehenden und nachfolgenden unterscheiden und somit großes kulturelles Konfliktpotenzial in sich bergen. Die Hauptursache hierfür ist, dass Menschen ihre jeweils gültigen Werte in der Regel als unumstößlich und hinreichend ansehen und dadurch die Wertesphäre anderer nicht verstehen und tolerieren (können). Erst auf der Stufe des integralen Bewusstseins (auch als second tier oder als Bewusstsein des Zweiten Ranges bezeichnet) ist es möglich, eine supra­ perspektivische Sichtweise auf die Strukturen menschlicher Existenz einzunehmen, die Errungenschaften aller vorangegangenen Bewusstseinsstufen zu würdigen, ohne ihre Pathologien zu verkennen, und somit die Bewusstseinsentwicklung auf jeder Stufe zu unterstützen. Politisches Second tier­Bewusstsein formuliert daher keine universell gültigen Heilsversprechungen mehr5 (wie „Demokratie für alle“ – ab in den Irak!); vielmehr wird hier in allererster Linie darauf Wert gelegt, maximale Entwicklungschancen für eine größtmögliche Zahl von Menschen (und sonstigen fühlenden Wesen) zu ermöglichen (Ken Wilber).

Zurück zur Ökologie: Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich wurde, heißt Entwicklung immer in erster Linie Bewusstseinsentwicklung, die sich aber nicht nur auf innere, „linksseitige“ Erkenntnisprozesse beschränkt, sondern unweigerlich nach Ausdruck im äußeren, „rechtsseitigen“ Leben streben wird. Denn: Der Mensch muss nicht nur sich selbst gestalten lernen, sondern auch seine Umwelt.6

Dies gilt im besonderen Maße für die Ökologie, deren Relevanz in alle individuellen und kollektiven Lebensbereiche ausstrahlt und die so etwas wie das „natürliche Fundament“ für jegliche Entwicklung bildet. Aus diesem Grund erscheint den Autoren gerade für diesen essenziellen Bereich ein integral­ ökologischer Ansatz hilfreich und sogar notwendig.

Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, liegt der Hauptgrund für den besorgniserregenden Ist­Zustand der Welt darin, dass in den Bewusstseinsstufen ROT bis ORANGE ökologisches Denken und Handeln quasi nicht vorkommt (lediglich PURPUR handelt in der Regel noch prärational­instinktiv ökologisch). Stattdessen hat sich der Mensch individuell und kollektiv im Verlauf seiner mentalen und kulturellen Entwicklung nicht nur von der Biosphäre differenziert, sondern darüber hinaus auf pathologische Weise von ihr abgespalten, indem er sein gesamtes Weltbild auf einen reinen Objektivismus und Materialismus reduzierte. Erst das postmoderne Bewusstsein ist sensibel und entwickelt genug, Schmerz über diese Dissoziation und den damit verbundenen Umgang mit Tier und Natur zu empfinden und deren Schutz zu propagieren. Die ökologische Sensibilisierung kann jedoch teilweise zu einer Verabsolutierung der Biosphäre führen, die in der Sehnsucht nach einem (prämodernen) „grünen Paradies“ ihren Ausdruck findet. Auf diese Weise wird der Mensch zwar in „den großen Strom des Lebens“ eingebettet, gleichzeitig aber auch auf pures Biosphärenniveau nivelliert.7 Ein solch naives und zudem extrem einflachendes Menschenbild wird zwangsläufig von rationalen fortschrittsgläubigen Individuen (zu Recht) als rückschrittlich und entwicklungsfeindlich belächelt. Und schon sind wir beim altbekannten Kampf, der die moderne Welt mehr denn je dominiert und letztlich auch für ihre ökologische Krise verantwortlich ist: Das Ego gegen das Öko8, Fundi­ORANGE gegen Fundi­GRÜN – zwei Bewusstseinslager, die sich nach wie vor antithetisch gegenüberstehen und aus sich heraus zu keiner höheren Synthese fähig sind.
Diese umfassende Synthese kann nur durch einen erneuten Bewusstseinsquantensprung hin zu einem integralen Bewusstsein erreicht werden. Erst GELB/TÜRKIS ist in der Lage, die Errungenschaften der Moderne und der Postmoderne (autonomes Ich einerseits, Verbundenheit mit der Natur andererseits) wertschätzend zu integrieren und weiterzuentwickeln, ohne die jeweiligen Pathologien zu übernehmen.

Integrales ökologisches Bewusstsein zeichnet sich zudem durch eine tiefere, transrationale Sicht auf die Welt aus, in der alles miteinander verbunden ist, und zwar im Sinne einer Holarchie:
Die Wirklichkeit ist insgesamt nicht aus Dingen oder Prozessen zusammengesetzt, sondern aus Holons. Das heißt, sie bestehen aus Ganzen, die zugleich Teile anderer Ganzer sind, ohne dass es nach oben oder unten eine Grenze gäbe.9
Auch der Physiker David Bohm beschreibt das Universum als ungeteilte Ganzheit in fließender Bewegung, worin alle Teile des Universums einschließlich des Beobachters und seiner Instrumente zu einer einzigen Totalität verschmelzen und sich darin vereinigen.10 Die Biologie schließlich liefert uns den Beweis für die Lebendigkeit und die organismenhafte Charakteristik der Erde selbst und der ökologisch mitwirkenden Abhängigkeit der menschlichen Existenz in ihr.11 Damit formulieren nicht zuletzt die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften eine umfassendere, eine integrale Sicht auf die Welt, in der das Verbindende statt des Trennenden betont wird. Die integrale Ökologie spricht daher konsequenterweise nicht mehr von einer separierten Um­, sondern von einer ungeteilten Mit­ Welt. Tat tvam asi: DAS bist DU.
Die Perspektive einer ungeteilten Mitwelt ist allerdings eine sehr hohe Verwirklichung, die in einem ungeteilten Mitgefühl bis hin zu Identität mit Alles­was­ist ihren Ausdruck findet und zum jetzigen Zeitpunkt nur von sehr wenigen Menschen eingenommen werden kann („je mehr Tiefe, desto weniger Spanne“). Daher muss wirksame Politik die Tiefe integral­ökologischer Erkenntnis in die jeweiligen Wertesphären (PURPUR bis GRÜN) „übersetzen“ und dauerhaft implementieren.

Was bedeutet das für konkretes politisches Handeln?
Die obersten Prinzipien für eine integral­ökologische Politik sind Nachhaltigkeit, weil ohne sie das System Erde früher oder später kollabieren muss, und Gerechtigkeit, weil ohne sie keine Maßnahme in der notwendigen Breite durchsetzbar ist.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zeit, die uns aller Voraussicht noch für ein Umsteuern bleibt. Denn angesichts der großen Dynamik der Mitweltkrise haben wir definitiv nicht mehr genügend Zeit, abzuwarten, bis ein Großteil der Weltbevölkerung sich im integralen Bewusstsein befinden wird (und für eine gesunde Entwicklung kann keine Stufe übersprungen werden!).
Aus strategischen Gründen halten die Autoren es daher für geboten, in zwei Schritten vorzugehen: Erstens aus second tier heraus die beiden Leit­Prinzipien Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit unmissverständlich zu formulieren; zweitens die oben genannte „Übersetzungsarbeit“ zu leisten, um möglichst viele Menschen im Denken und Fühlen auch zu erreichen.

Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit:
Um die Biosphäre, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und eine (mitweltbewusste) Entwicklung für alle zu fördern, muss jeglicher Umgang mit den Ressourcen der Erde auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit12 beruhen, wozu nicht zuletzt auch ein wirksamer Naturschutz zählt. Im Einzelnen bedeutet dies:

  • Eine abfallfreie (Kreislauf­)Wirtschaft („cradle­to­cradle“).
  • Massive Energieeinsparungen durch eine Effizienzrevolution bei der Energieproduktion und beim Energieverbrauch.
  • Eine klimaneutrale Energieproduktion ohne den Neubau von Atomkraftwerken.
    Auf nationaler Ebene wird unter Einbeziehung aller Energie­Produzenten ein neuer Energie­ Konsens entwickelt. Ziel dieses Konsenses ist eine Minderung des C02­Ausstoßes bis 2050 um 80 %. Hier ist eine ideologiefreie Sicht auf die Dinge unbedingt notwendig. Z.B. wäre eine längere Laufzeit für moderne Atomreaktoren unter der Bedingung möglich, dass gleichzeitig der massive Ausbau einer dezentralen alternativen Energieproduktion und ­versorgung gewährleistet wird (das Atommüllproblem würde dadurch nicht wesentlich vergrößert). Die längere Nutzung der Atomenergie mit bereits vorhandenen Reaktoren hätte den Vorteil, dass auf den Neubau von Großkraftwerken mit fossilen Brennstoffen verzichtet werden könnte und wohl auch ein schneller Konsens mit den bisherigen Oligopolisten möglich wäre.
  • Die individuell notwendige Mobilität wird mittelfristig durch (emissionsfreie) Elektro­ Fahrzeuge gewährleistet, die ihre Energie aus „grünem“ Strom beziehen.
  • Eine flächendeckende und artenschonende ökologische Landwirtschaft.
  • Ein Trend zum Vegetarismus (allein schon aufgrund der effizienteren Ressourcennutzung, da bei gleichem Aufwand Nahrung für sehr viel mehr Menschen zur Verfügung steht).
  • Die Energieproduktion aus Nahrungspflanzen wird geächtet. Nahrungs­ und Saatgutmonopole werden aufgelöst.
  • Keine weitere Landschaftszersiedlung und Bodenversiegelung, zugleich vermehrte Neuausweisung von Naturschutzflächen und deren Vernetzung mit den bereits vorhandenen Schutzflächen, um die Artenvielfalt von Flora und Fauna zu vergrößern.
  • Die Entwicklung neuer kultureller bzw. gesellschaftlicher Leitbilder, die Nachhaltigkeit als „cool“ bzw. als natürlichen Lebensstil propagieren.
  • Eine entsprechende Neugestaltung der Lehrpläne in Bezug auf ein stärkeres Mitwelt­ Bewusstsein.

Wie in den letzten beiden Punkten propagiert, sollten durch gezielte Bewusstseinsarbeit und breiteste Aufklärung der Öffentlichkeit die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um möglichst vielen Menschen die Entwicklung von GRÜN nach GELB zu ermöglichen (von der „Generation Gummibärchen“ zur „Generation Gelb“). Davon würde nicht zuletzt die Menschheit selbst profitieren, bedeutet dieser Sprung doch ein wesentlich größeres Ausschöpfen des menschlichen Potenzials: Jenseits von Gier und Ego­Befriedigung das „Schöne, Wahre und Gute“ zu verwirklichen und damit MENSCH zu werden. Auf diesem Weg sind sicherlich Schlüsselqualifikationen wie Kreativität und Flexibilität, Liebe und Verantwortung essenziell, um das bislang noch Un­Denkbare zu visionieren und in die Tat umzusetzen.

Im Zuge der globalen Entwicklung müssten sich auch die sozialen und politischen Rahmenbedingungen zum Teil gravierend ändern, um die dringendsten Mitwelt­Probleme einer Lösung zuzuführen. Eine integral­ökologische Politik wird hierbei insofern hilfreich sein, da sie immer weltzentrisch und damit nicht mehr primär national orientiert ist. Nur durch eine supra­ nationale Kooperation ist es möglich, allgemein verbindliche Öko­ und Sozialstandards festzulegen, die lokal jeweils unterschiedlich umgesetzt werden. Dieser Punkt bringt uns zum zweiten Eckpfeiler integral­ökologischer Politik: der Gerechtigkeit. Dazu zählen insbesondere ein fairer Handel und eine fairer Ressourcenverbrauch. Es wird keine wirksamen supra­national verbindlichen Verträge geben, die nicht „fair“, also in jeder Hinsicht und von allen als gerecht empfunden werden. Das bedeutet im Einzelnen:

  • Es wird zuvorderst supra­national ein Konsens darüber erzielt, wieviel CO2­Emission global verantwortbar ist. Daraus wird der Pro­Kopf­Ausstoß an CO2 ermittelt. Sodann wird der Pro­ Kopf­Ausstoß mittelfristig global angeglichen. Das bedeutet, dass in den Industrienationen der Pro­Kopf­Ausstoß zu Gunsten der Entwicklungs­ und Schwellenländer radikal gesenkt werden muss.
  • Es erfolgt ein Effizienz­Technologie­Transfer (ohne Atomkraft) von den entwickelteren zu den unterentwickelteren Ländern zu fairen Bedingungen.
  • Die Energie­Produktion wird langfristig auf Solarenergie umgestellt, deren Produktion häufig in den Entwicklungsländern viel effizienter möglich ist (z.B. Solarenergie aus der Sahara für Europa) und damit große Entwicklungschancen für den Süden bietet. In den Industrienationen wird die Energieproduktion dezentralisiert.
  • Die Kosten für den Artenschutz werden global gerecht verteilt. Der nachhaltige Schutz der Regenwälder und anderer essenzieller Naturräume wird dabei „honoriert“.
  • Auf nationaler bzw. EU­Ebene wird ein Instrumentarium entwickelt, um eventuelle soziale Härten, die bei der Umstellung auf eine nachhaltige Entwicklung entstehen können, abzufedern (z.B. durch Energie­Gutscheine oder Mobilitätszuschüsse für sozial Schwache).
  • Bewusstseinsentwicklung vollzieht sich regelmäßig vom Ich zum Du, vom Du zum Wir, vom Wir zum Wir­alle und vom Wir­alle zum Alles­was­ist. Zu diesem „Alles­was­ist“, zu einer alles integrierenden Mitwelt­Perspektive gehört auch ein grundsätzlich anderer, ein von Mitgefühl bzw. Identität geprägter Umgang mit dem Wesen Tier. Unter dem Aspekt einer integralen Gerechtigkeit sollte daher zuvorderst die hemmungslose Ausbeutung der (Nutz­) Tiere beendet werden.

Um die vorgenannten weitreichenden Ziele und Maßnahmen einer integral­ökologischen Politik wirksam zu etablieren, bedarf es in einer demokratisch organisierten Gesellschaft vor allem einer breiten Akzeptanz seitens der Bevölkerung, die sich größtenteils noch nicht auf der integralen Bewusstseinsstufe befindet. (In einem autoritären politischen System wie in China wäre hingegen eine Art „Umweltdiktatur“ schon eher vorstellbar.) Da die Inhalte einer nachhaltigen Politik hierzulande gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung (ORANGE bis PURPUR) jedoch nicht ohne Widerstand durchsetzbar sein werden, ist es von größter Wichtigkeit, sie in die jeweiligen Wertesphären aller Bewusstseinsstufen entsprechend zu „übersetzen“. Nur so können dauerhafte, tiefe Resonanz und Verständigung erreicht und die Errungenschaften jeder Stufe zum Wohle der ganzen Spirale weiterentwickelt werden. Ein besonderer Schwerpunkt sollte hierbei die (Zusammen­)Arbeit mit den Stufen BLAU (Traditionalismus) und ORANGE (Modernismus) bilden, da BLAU in der Weltbevölkerung am stärksten repräsentiert wird und ORANGE den Anteil an Wohlstand und

politischer Macht dominiert. So steht eine nachhaltige Politik durchaus nicht im Widerspruch zur Wertesphäre von BLAU, die u.a. durch Gesetz und Ordnung (entweder durch ein christlich geprägtes oder auch konfuzianisches Familien­ und Weltbild), vor allem aber durch das Denken und Fühlen in Generationenabfolgen gekennzeichnet ist. Der in den achtziger Jahren erfolgreiche Wahlkampf­Slogan der Grünen „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“ könnte hier glatt Vorbild sein.

Die modernistische Bewusstseinsstufe ist durch ihren ausgeprägteren Gebrauch von Vernunft im Prinzip bereits für ökologisches Denken prädestiniert; deshalb sollte es ihre Aufgabe sein, durch innovative Technologien wie materielle Kreislaufwirtschaft und Solarenergie den Nachhaltigkeitsgedanken wirksam umzusetzen (Stichwort „Bright Green“)13, allerdings ohne die Pathologien des Neoliberalismus, insbesondere dessen Ego­Kultur, die aufgrund ihres ausschließlichen Strebens nach Gewinnmaximierung und Machtkonzentration eine wirksame Öko­ Politik bisher verhindert hat. So ist eine integral­ökologische Politik immer auch aufgefordert, pathologische Entwicklungen jeder Bewusstseinsstufe einzuschränken. Als Beispiel wäre eine (demokratische) Transformation der Energie­Oligopole als derzeit noch größte Bremser einer nachhaltigen Entwicklung zu nennen, und zwar durch eine Trennung von Energieerzeugung und ­ verteilung sowie eine (vorübergehende) Verstaatlichung der Energienetze.

Abschließend: Integral­ökologische Politik berücksichtigt immer das Wohl der ganzen Bewusstseins­ Spirale und bietet einen evolutionären Impuls für die jeweilige Wertesphäre. Ein solches Vorgehen bedarf einerseits einer „Meta­Perspektive“ auf die vorhergehenden Stufen und andererseits ein einfühlsames, von Mitgefühl geleitetes Verstehen. Wir benötigen daher an den verantwortlichen Positionen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft so etwas wie eine integrale Demuts­Elite.

 

Veröffentlicht im Kongressreader „Kongress für integrale Politik“ vom 3.8.­10.8.2008 im Jugend­ und Bilduungshaus St. Arbogast, Österreich

 

 

  1. Interview mit Steve McIntosh: Das Zeitalter der integralen Politik, in: What is Enlightenment?, Winter 2007, S.61
  2. Vgl. ebd. S.62
  3. Ebd., S.61
  4. Vg. Don Beck/Christopher C. Cowan: Spiral Dynamics – Leadership, Werte und Wandel, Kamphausen 2007
  5. vgl. Aufsatz von Elke Fein in diesem Heft S.6 und McIntosh über den Irakkrieg
  6. Sri Aurobindo: Zyklus der menschlichen Entwicklung, Mirapuri­Verlag, S.88
  7. vgl. Ken Wilber: Eros Kosmos Logos. Eine Jahrtausend­Vision, Frankfurt: Fischer 2001, S.529ff.
  8. Ebd. S.512 ff.
  9. Ebd., S.57
  10. zit. nach: Ralf Girg: Die integrale Schule des Menschen, S. Roderer Verlag, Regensburg 2007, S.71
  11. Ebd., S.73
  12. Der Begriff Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus dem forstwirtschaftlichen Bereich und bedeutet: „Regenerierbare lebende Ressourcen dürfen nur in dem Maße genutzt werden, wie Bestände natürlich nachwachsen.“ Er wurde seitdem mehrfach sowohl von der Wissenschaft als auch von der Politik aufgegriffen, teilweise mit verändertem oder erweitertem Bezug. Das Motto lautet: „Nur soviel verbrauchen, wie zukunftsverträglich ist.“
  13. Beispiele hierfür finden sich in dem Artikel „Das Grün der Zukunft“, in: What is Enlightenment?, Winter 2007, S.30ff.