von Aaron Cheak, PhD

Logo Integrale PerspektivenIch beginne immer mehr hinter oder besser gesagt: durch die Dinge zu sehen. (Franz Marc)1

Innres, was ists? Wenn nicht gesteigerter Himmel.2 (Rainer Maria Rilke)

JEAN GEBSER (1905-1973) war ein deutscher Dichter, Philosoph und Phänomenologe des Bewusstseins. Er ist vor allem für sein gebieterisches Opus Ursprung und Gegenwart (1949/1953) bekannt, in dem er die Strukturen und Mutationen des Bewusstseins beschreibt, die den entscheidenden Veränderungen in der menschlichen Zivilisation zugrunde liegen. Gebsers wichtigste Erkenntnis war, dass das Bewusstsein, wenn es sich zu seiner angeborenen Integrität wandelt, die menschliche Ontologie und damit die Zivilisation als Ganzes drastisch umstrukturiert. Fünfhundert Jahre vor Christus veränderte sich die grundlegende Form der Wirklichkeitswahrnehmung vom Mythos zum Logos durch die Wirkung von Figuren wie Sokrates, Siddhartha und Laozi. Für Gebser stehen wir an der Schwelle einer neuen Mutation, vorausgesehen durch Gestalten wie Rainer Maria Rilke, die nach Gebsers Ansicht durch „Dinge“ in die transparente Klarheit „hinter“ die Dinge eindrangen und so zu einer neuen, a-perspektivischen Wahrnehmung der Realität vorstießen.

Die Betonung der Diaphanie (Transparenz) ergibt sich für Gebser aus der Erkenntnis, dass die Natur des Ursprungs weder primordiales Licht noch primordiale Dunkelheit ist, sondern ein Diaphainon, also das, was „sowohl die Dunkelheit als auch die Helligkeit transparent oder durchscheinend macht“.3 Diaphanie ist für Gebser eine Matrix für die rationalen Strukturen des Bewusstseins (wachsames Logos und Licht) sowie die prärationalen Strukturen des Bewusstseins (Mythos, Traum, Dunkelheit). Wie das upanischadische Konzept von Turiya (das „vierte“ Bewusstsein, das an der Wurzel allen Schlafes, Träumens und Wachens liegt) ermöglicht Diaphanie eine tiefe Öffnung für die archaischen und nächtlichen Formen des Seins – die Unterwelt und das Unbewusste – ebenso wie für das Tageslicht. In einem Brief an Georg Feuerstein schreibt Gebser:

Ich habe nie das “Dunkle” des archaischen Bewusstseins mit einer Dunkelheit des Ursprungs in Verbindung gebracht. Das archaische Bewusstsein ist nur insofern dunkel, als es noch vor dem Schlafbewusstsein “liegt”; der Ursprung selber ist transparent, umgebunden an dunkel oder hell, die blosse Manifestationsattribute sind.4

 

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